© Bibiana Stift
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Cordula Simon: Porn nuit (Auszug aus Spieler)

in Writers' Blog

Wie sind wir hier gelandet? Wie kam ich auf diesen Küchentisch? Meine Wange, Wimpern in den Dünen des umgeworfenen Zuckers. Vor wenigen Minuten schrie ich dich an. Mein Mantel, wie ein verrecktes Tier am Boden, eingekauert.
Du magst wenn ich nein sage. Ich versuche eine Armlänge Abstand zu halten. Ich sage nein, ich lache. Mache einen Hopser zurück, fang mich doch! Ein Hüpfer in der Brust. Wie mit dem Fahrrad über Eis zu fahren. Ein Rutschen. Ein Lachen in der Kehle. Für manche Minuten könnte man Monate geben.
Blutende Herzen neben blutenden Nasen. Du ziehst mich an den Haaren. Die Zwiebeln sind vom Tisch gerollt. Dazwischen tiefe Kratzer.
Sich strecken soll gesund sein, denke ich. Er ist zu groß, zu groß, sage ich mir immer wieder, sage ich dir immer wieder, während du in mich hinein. Drängst. Langsam, langsamer, langsam. Eine Hand an meiner Brust. Reibung. Da läuft die zweite Hand, läuft, läuft, wo läuft sie hin? Den Rücken hinunter, hinunter. Kommt. An. Deine Nachbarn kennen meine Stimme schon. Vom Streiten und vom Stöhnen.
Du musst süchtig werden, nach der Fratze, die beim Höhepunkt mein Gesicht ist. Der Zucker scheuert über die Haut. Ich greife nach dir.
Würdest du mich nicht mit der Hand fest im Nacken halten, auf den Tisch drückend, ich würde von. Den. Stößen. Gegen. Den. Kühlschrank. Schlagen.

Als du mich hochhebst, meine Krallen in deinem Arm.
Alles ist nass, salzig, Zucker an meiner Wange. Zucker auf meiner linken Titte. Leck. Ihn. ab. Sofort.
Was du am besten machst, mit deiner Zunge. Der Sauerstoff aus meiner Lunge ist vollständig verschwunden. Mein Körper sinkt ein. Die Drehung der Welt ist nur mehr die Drehung des Kopfes. Mir ist schwindlig. Für manche Sekunden könnte man Jahre geben. Du steckst ihn erst wieder hinein, wenn ich komme. Als seien wir eingebrochen unter Eis, als würden wir schwimmen, über uns eine eisige Decke, wir können den Ausweg nicht finden. Warm, sicher und feucht. Gnadenstoß und hastloses einander besehen versuchen.
Du ziehst mich an den Haaren zurück. „Keine Spuren.“ sagst du. Ich komme nicht umhin dich zu küssen. Später werden wir sagen: wir küssen uns nicht. Die Gesellschaft ist schuld.
Einen Gesandten müsste man schicken und meine Hand macht sich auf den Weg. Da wirfst du ein Kissen auf den Boden. Halb fordernd, halb fürsorglich. Wir sind aus dem Alter draußen für die shram na kolenach, keine aufgeschlagenen Knie für uns.
Der Schwanz hat etwas von ewig tropfendem Plombir, wie es im Sommer an jedem Kiosk verkauft wird. Schmelzende Eiscreme, Zuckerkristalle in meinem Mund.
Du sagst: „Wir sind wie zwei Kinder.“ und „S., ich will dir ins Gesicht spritzen.“ Wie bei unserer allerersten Begegnung. Sogar daran erinnere ich mich. Ich habe dich nicht gelassen.
Du drängst ihn tief hinein in meine Stimme, so tief es geht. Gerade so, dass ich nicht würgen muss.
Die Zuckerdünen sind auf den Boden gewandert. Ich bin zersprungen in Brotkrumen. Lache über die Spiele, die wir brauchen. Die blauen Flecken am nächsten Tag bedeckt mit Schminke dick wie Butter. Rot über grün, gelb über violett und orange über blau. Wir haben ohnehin Hornhaut auf der Seele. Ich messe den Erfolg einer Nacht daran, ob ich sitzen kann. Zwei Dinge auf der Welt riechen nach Fisch, denke ich, als ich nach Hause gehe.

Simon_bearbCordula Simon, Schriftstellerin, geb. 1986 in Graz, studierte deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa. Koordinatorin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz und Mitglied der Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt veröffentlicht: „Ostrov Mogila. Roman“ (Picus, 2013).