© Valerie Fritsch
© Valerie Fritsch

Valerie Fritsch: Zinnober macht unsterblich

in Writers' Blog

Alchemie, Literatur und der Kaiser von China

Literatur ist aus Welt gemacht, in der Retorte des Menschen. Das Schreiben ist eine Meta- Chemie, die mit allen bekannten Elementen experimentiert, ihre Kombinierbarkeit testet, ihre Reaktionen und ihre Wandelbarkeit. Es baut aus den Bestandteilen der einen Welt, die wir kennen, viele andere Welten, von denen wir noch nichts wissen, jede einzelne codiert mit den sechsundzwanzig Buchstaben und Sonderzeichen des Alphabets. Entstehen bessere, ist der Urheber wohl Alchemist der alten Schule.

In der Alchemie wollte man nicht mit Buchstaben, aber mit Tatsachen beweisen, dass man die Materie umwandeln, aus niederen Stoffen edle Metalle machen könne, dass man in der Lage sei Allheilmittel gegen Krankheiten und Wunden, und ganz unbescheiden Unsterblichkeit für den Menschen zu finden. Eine okkulte Wissenschaft war das, eine nach Leben gierige Lehre der laborierenden Goldmacher zwischen ihren zischenden und puffenden Gerätschaften, immer auf der Suche nach dem Opus Magnum, jener Substanz, die die Welt im wahrsten Sinne des Wortes verändert. Das haben sie gemein mit den Schriftstellern und Verrückten, die mit Gedanken und Gerüchen, Geschichten und Wetterphänomenen, Farben und Erfahrungen neue Mikrokosmen auf Papier brauen. Auch sie versuchen sich an der Herstellung der besseren Welt. Experimentieren wild, scheitern wilder, stöbern dem Besonderen hinterher, und glauben manchmal gar an ihre Version der Unsterblichkeit: dass nicht sie, aber dass das Geschriebene überdauern wird.

Die chinesischen Alchemisten dachten im Übrigen eine Zeit lang, sie hätten ein Mittel gegen den Tod gefunden und aßen Zinnober. Sie selbst und auch der Kaiser starben nicht sofort, aber an der chronischen Vergiftung des roten Mineralpulvers, das Blut schwer vom Metall, mit vom Quecksilbergehalt großen Augen. Es war ein ungutes Missverständnis. Die Schreibenden essen also keinen, aber veranstalten manchmal Zinnober. Getrunken wird Rotwein. Die Lebenserwartung eines Schriftstellers liegt bei 63,69.

 

Valerie Fritsch, Schriftstellerin, geb. 1989 in Graz. Studium an der Akademie für angewandte Photographie, Mitglied der Grazer Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt erschien der Roman „Winters Garten“ (Suhrkamp, 2015).