Olga Flor: Ist das so?

Olga Flor: Ist das so?

in Writers' Blog

Brauchte es zu aufklärerischen Zwecken wirklich Pornos im Hauptabendprogramm? Das erscheint zweifelhaft, schon deshalb, weil das Konzept Hauptabendprogramm hoffnungslos überholt ist. Auch die meist mit Ablaufdatum versehenen Downloadmediatheken der Öffentlich-Rechtlichen verursachen mittlerweile, nun ja, ein gewisses Gähnen. Schon 13jährige sind vermutlich besser als ihre Eltern im Stande, sich selbstverständlich ohne Unterstützung und Wissen von Lehr- oder sonstigen Erziehungspersonen Zugang zu den Seiten zu verschaffen, auf denen die wirklich interessanten Filmesequenzen zu finden sind, welchen Inhalts auch immer. Wobei die Zahl der 13jährigen Mädchen, die pornographische Erzeugnisse konsumieren, wohl eher zu vernachlässigen sein dürfte im Vergleich zu der der gleichaltrigen Jungen, doch das ist eine reine Vermutung der Autorin, sind doch die Stimulantien der Pornoindustrie nach wie vor vornehmlich für den männlichen Seher optimiert.

In der Schmuddelecke sind pornographische Darstellungen schon längst nicht mehr; spätestens in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hielt die einschlägige Ästhetik in den Mainstream Einzug, sei es nun in Form von hyperrealistisch bettelnden Schlauchbootlippen oder von eindeutigeren Topoi wie etwa Cumshot-Überresten in den Hochglanzstrecken berühmter Modefotographen, fingiert oder echt, aber diese Ambivalenz ist dem Medium schließlich immanent.

Überhaupt, wie darf man sich das vorstellen, Pornos im Hauptabendprogramm? Verschiebung des Themenschwerpunkts in den Seitenblicken? Die Erörterung vorgeblicher sexueller Vorlieben der einschlägigen C-Prominenz? Ein eher verstörender Gedanke.

Ganz abgesehen von der Frage, ob die wirklich harten und übrigens sehr frei zugänglichen Sachen – denn Nacktheit kommt ja weniger vor, die Sauberkeitsseismographen der sozialen Netzwerke, und die sind wahrhaftig die letzten edlen Ritter der Keuschheit, schlagen also nicht so schnell an – heutzutage nicht eher Propagandavideos netzhyperaktiver Terroristen sind, die den Snuffbereich in ungeahnte Dimensionen erweitern dürften; die Reizgrenze muss schließlich immer weiter verschoben werden, was bekannt ist, markttechnisch durch, langweilt, auch den Wüstenkriegernachwuchs.

Dass dem Berufsfeld der Erzeugung von Pornographie selbst etwas Grenzüberschreitendes eigen ist, dass pornographische Darstellungen, bei aller unbestreitbarer und unmittelbarer Einwirkung auf menschliche Urimpulse, auch die – nicht nur körperlichen – Grenzen der Mitwirkenden Verletzendes haben, ist klar, doch selten wirklich Gegenstand der Betrachtung. Was nichts über eine moralische Wertung aussagen soll, nur täte es der Diskussion vielleicht gut, wenn dieser Aspekt nicht völlig ausgeblendet würde.

Menschliche Körper müssen für den Zweck der Produktion pornographischen Materials fähig sein, wieder und wieder alle physischen Anzeichen der Erregung und orgasmischer Kontraktionen vor der und für die Kamera zustande zu bringen, schon allein das erfordert auch mentales Training, da Erregung bekanntermaßen im Kopf erzeugt wird (wäre dem nicht so, wäre Pornographie schließlich wirkungslos und die gesamte einschlägige Geschäftstätigkeit obsolet). Der Geist kann also gar nicht draußen bleiben. Vor allem müssen die Performenden Akte an sich und aneinander verüben, die auf der psychischen Seite im allgemeinen doch so etwas wie Intimität und Nähe evozieren, die in diesem Umfeld aber eben gerade das nicht sein kann, sondern zum Zweck der Wertschöpfung von den Beteiligten preisgegeben werden muss. Die Psyche ist also immer dabei, und um das auszuhalten, dürfte eine ausgeprägte Fähigkeit zur Abspaltung, zum Hochziehen innerer Grenzen nicht von Schaden sein.

Vielleicht ist das das eigentlich Obszöne: die bewusste Inkaufnahme der Abspaltung von Teilen des Bewusstseins zum Zweck des mentalen Überlebens.

 

Flor_Portraet2Olga Flor, Schriftstellerin, geb. 1968 in Wien, lebt in Graz und Berlin. Sie studierte Physik und arbeitete im Multimedia-Bereich. Jüngste Romane: „Die Königin ist tot“ (Zsolnay, 2012), „Ich in Gelb“ (Jung und Jung 2015).

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