Astronauten aus Staub en miniature
Irgendwann bleiben die Jahre, in denen niemand stirbt, aus, irgendwann sind Beerdigungsbesuche nicht mehr neu, aber regelmäßige Aufgabe jedes gewöhnlichen Erwachsenen und jedes traurigen Kindes. Irgendwann ist man alt genug, sich einen Begräbnismantel zu kaufen, schwarze enge Schuhe und Taschentücher. Irgendwann ist man alt genug für den unaufhörlichen, fremden Tod, für die Wahl von Kranz, Sarg, Urne, weint, wählt, entscheidet über die Form der Trauer und über die Form des Toten selbst.
Die Toten, oh, was kann man nicht alles mit ihnen machen, sie eingraben oder verbrennen, plastinieren oder kryonisch einfrieren, ihre Körper in Seemannsbestattungen vom Meer davontragen lassen oder den Anatomisten in weißen Kitteln spenden, ihre Asche zu einem Diamanten pressen und als Schmuckstück am Finger mit sich tragen, oder sie mit einer Trägerrakete fortschießen in den Weltraum. Für ein bisschen Geld reisen sieben Gramm des Verstorbenen in einer Mikrokapsel in die Erdumlaufbahn, umrunden die Welt, verglühen, wenn sie wieder in die Atmosphäre eintreten. Schickt man sie aber ins All, treiben die Kapseln ewig zwischen dunklen Sternen, Astronauten aus Staub en miniature.
Es ist ein Zaubertrick, wie man einen Menschen verschwinden lässt. Kürzlich nach einer Trauerfeier dacht’ ich nach, wie ich selbst meinen Körper gerne an die Welt verlöre. Und ich dachte: Nach dem Tod, nicht verbrennen, nicht zerfallen, nicht Staub sein und nicht Erde werden, nicht Insekten die Adern entlang wandern lassen, aber gefressen werden von einem wilden großen Tier, zerbissen und geschluckt von einem gigantischen Hai, einem Bären, Löwen, Dinosaurier, und ihm gut im Magen liegen. Oder von vielen kleinen Fischen bis auf die Knochen abgenagt zum Meeresgrund hinuntersinken. Tod, Tod!
Valerie Fritsch, Schriftstellerin, geb. 1989 in Graz. Studium an der Akademie für angewandte Photographie, Mitglied der Grazer Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt erschien der Roman „Winters Garten“ (Suhrkamp, 2015).