Kürzlich besuchte ich auf einer Reise durch Tschechien einen eigenartig anmutenden Ort: das Ossarium von Sedlec. Ein Beinhaus, umrahmt von einem Kirchhof, auf dem hier ein Grab eingesponnen ist in organisches Immergrün, zugewachsen und verschwunden, und dort auf einem Gedenkstein zwischen den Rosen- und Tulpensträußen auch das Lenkrad eines zu früh Verstorbenen liegt. In den Gräben um seine Mauern steht Gebein aus der Erde und zur Jausenzeit sitzen Archäologen am Grunde neben jenen Skeletten, die der Boden noch festhält, und kauen an Tomaten und harten Würsten. Im Gebäude aber hängen die Knochen von den Wänden. Es ist die Innendekoration der Düsteren, Interiordesign für Melancholiker. Hier wird mit Menschen eingerichtet. Knöcherne Abendmahlskelche groß wie Männer stehen zuseiten des Treppenabgangs. Ein riesenhafter Luster aus allen Teilen des menschlichen Gerippes baumelt acht-armig von der Decke der Krypta und leuchtet den Besuchern den Weg. Stuck aus Kiefernbögen ziert, Girlanden aus Oberarmknochen und Schädeln schmücken den Raum. Es ist ein schwermütiger Totenfasching, dem man hier mit großen Augen begegnet. Berge von Knochen stapeln sich links und rechts. In den Augenhöhlen der Schädel liegen, als wären sie Almosenschalen, die Münzen jener Touristen, die sich Glück und Gesundheit von der Gabe versprechen. Oft sind die Knochenköpfe löchrig und gespalten, vom Krieg beschädigt, eingeschlagen von Dreschflegel und Fausthammer. Später hat die Pest das Mobiliar in Sedlec begünstigt. Denn Zehnstausende sind verbaut, gestalten mit ihrer dürren, prächtigen Anatomie das Beinhaus, das man ungewollt mit vielen neuen Einrichtungsideen verlässt.
Valerie Fritsch, Schriftstellerin, geb. 1989 in Graz. Studium an der Akademie für angewandte Photographie, Mitglied der Grazer Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt erschien der Roman „Winters Garten“ (Suhrkamp, 2015).