© Olga Flor
© Olga Flor

Olga Flor: Container

in Writers' Blog

Der Erstickungstod im Kühlcontainer macht fassungslos. Nun wird also die Schlepperei bekämpft. Bedacht wird weniger, dass das Schleppergewerbe auf dem Boden der Abschottung gedeiht, und die ist anscheinend die einzige Antwort einer einfallslosen, uneinigen und, ja, in ihren Folgen unmenschlichen Politik. Das Spiegelbild einer Gesellschaft, deren online- und sonstige Treibjagden an der Empathiefähigkeit zweifeln und an der Menschheit verzweifeln lassen könnten.

Da ist es gut, wenn die Toten aus ihren Kühlhäusern kommen, in denen man sie aufstapelt, übereinanderwirft, in Plastiksäcken abgepackt, oder direkt aus dem Mittelmeer, von dem wir diesseits des Zauns sehenden Auges in Kauf nehmen, dass es zur Menschenendlagerstätte wird, tief drinnen, tief unten. Dann verbreiten wir die Bilder des Untergangs, damit bloß nicht noch mehr von denen kommen, die keiner haben will und die dann was von uns wollen, von Europa nämlich, und zwar Aufnahme und Unterkunft und Arbeitsmöglichkeiten. Am Schluss zahlen die dann womöglich auch noch Steuern.

Dabei sind wir doch die, die hier was wollen: nämlich keine Menschen, die so daher kommen, weil sie von dysfunktionalen Regierungen verfolgt werden oder schlicht zwischen die Fronten geraten im Kampf um Bodenschätze, weil sie aus Kriegsgebieten fliehen oder einfach keine Lebensgrundlage mehr haben, das ist schon überhaupt kein Grund, was soll denn das für ein Motiv sein, nicht verhungern zu wollen, nur weil das Herkunftsland ausgebeutet wurde von Konzernen, deren Produkte wiederum wir haben wollen, oder wenn der Klimawandel dem Land das Wasser abgräbt, eine Klimaveränderung, mit der wir erstens nichts zu tun haben, die es zweitens nicht gibt und wenn doch, ist sie uns drittens nicht ganz unrecht. So ein Herbsttag ist ja echt ein Graus. Und gegen Wein aus England spricht ja auch nichts.

Es sind Kreuzfahrten der besonderen Art, die da um teures Geld gebucht werden (oft direkt nach einer Abenteuersafari durch die Sahara), Außenkabine, Sonnen- oder auch Regendeck, je nachdem, Verpflegung ganz auf die persönlichen Bedürfnisse der Reisenden abgestimmt, die dafür auch gleich selbst Verantwortung übernehmen dürfen, für das Unterhaltungsprogramm auch, und das endet nicht selten dort, wo das Meer am tiefsten ist.

Wenn nicht, dann klingt die Reise in malerischen Küstenorten aus, wo die Unterbringung individuell zu gestalten ist und sich so manches Nachtlager unter makellosem mediterranen Himmel findet. Dann reisen die Rastlosen womöglich weiter, über die Alpen wie dieser andere Afrikaner, nur in die Gegenrichtung und ohne Elefanten. Auf den Pässen werden sie gerne abgefangen und – schwupps –zurückgeschickt gen Süden, da ist es übrigens auch wärmer, was von Vorteil ist, wenn sie auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen stranden, diejenigen, die wir nicht haben wollen. Das Problem ihrer Versorgung ist nicht mehr unseres, da können sich die Erstaufnahmeländer ganz situationselastisch damit beschäftigen. Was müssen die auch so peripher herumliegen.

Denn dass ihre Fluchtgründe etwas zu tun haben könnten mit unserem Wohlstand, das glaubt doch keiner, dass man andererseits gerne auf die Ausbeutung kostengünstigster, weil illegal sich hier aufhaltender Arbeitskräfte zurückgreifen können möchte, wenn es um Aktionserdbeeren und Glashausgemüse geht, das geht uns gar nichts an. Wir schaufeln lieber Gräber.

Nein: Es liegt an uns Europäerinnen und Europäern, Druck auf die Regierungen auszuüben, um an der katastrophalen Flüchtlingspolitik etwas zu ändern, legale Wege der Einwanderung zu ermöglichen, eine Verteilung der Asylsuchenden auf alle EU-Staaten und einheitliche und faire Asylverfahren zu gewährleisten. Es braucht die Erkenntnis, dass Europa ein Einwanderungskontinent ist, es braucht Einwanderungsquoten, um das Sterben zu beenden und Menschen wieder als solche zu behandeln. Es braucht das Eingeständnis, dass ein alterndes Europa mit schrumpfenden Bevölkerungszahlen von zuwanderungswilligen Menschen profitieren wird und schon im Eigeninteresse besser in Ausbildungs- und Integrationsmöglichkeiten investieren sollte als in Abwehrmechanismen.

 

Flor_Portraet2Olga Flor, Schriftstellerin, geb. 1968 in Wien, lebt in Graz und Berlin. Sie studierte Physik und arbeitete im Multimedia-Bereich. Jüngste Romane: „Die Königin ist tot“ (Zsolnay, 2012), „Ich in Gelb“ (Jung und Jung 2015).