Die Corona-Tagebücher, Teil 6 („Alles ok, außer bei mir“)

in Die Corona-Tagebücher/Die Corona-Tagebücher. Erste Welle

Eine Auswahl aus den Einträgen von:
Helena Adler, Bettina Balàka, Birgit Birnbacher, Melitta Breznik, Ann Cotten, Nava Ebrahimi, Valerie Fritsch, Monika Helfer, Lisz Hirn, Lucia Leidenfrost, Christian Mähr, Robert Pfaller,  Benjamin Quaderer, Julya Rabinowich, Angelika Reitzer, Kathrin Röggla, Thomas Stangl, Michael Stavarič, Daniel Wisser.

[PDF der Gesamtexte]

Thomas Stangl, 13.4.2020
Interessanter ist es meist, das Tagebuch von jemand anderem zu führen. Morgenrituale beispielsweise zwischen Großstädten, nach sechs Wochen, Monaten, Jahren.

Daniel Wisser, 14.4.2020
Die Müdigkeit der Bürger (man beachte das fehlende N in Müdigkeit) erhöht sich mit dem Quadrat der Inhaltslosigkeit der Regierungsmitteilungen. Inzwischen ist auch die Regierung müde geworden; müde, Inhalt durch Inszenierung wenigstens vorzutäuschen. Sie beschäftigt sich stattdessen seit neuestem auf lustvolle Weise, ihren Untertanen in gouvernantenhafter Art zu erklären, was sie machen sollen, wohin sie im Sommer fahren müssen, womit sie sich beschäftigen könnten, wie sie Tennis zu spielen hätten und so weiter. Dabei erscheint einem das ganze Kabinett wie Betreuer einer Tagesheimstätte für Erwachsene, die übersehen, dass der Verdacht des Missbrauchs an ihren Zöglingen mit Arial 64pt bold auf ihrem Gesicht geschrieben steht.

Christian Mähr, 14.4.2020
Ich stelle das hier als Gegengewicht zu den Corona-Tagebüchern ein, deren letzte Lieferung doch auf zunehmenden Leidensdruck der geschätzten Kolleginnen und Kollegen deutet, wobei mir nicht ganz klar ist, welche konkreten Umstände ihn begründen könnten, den Leidensdruck. Soviel ich mitbekommen habe, ist niemand, der hier schreibt, wirklich krank. Keine Rede von Husten, Fieber, Mattigkeit. Oder hab ich was überlesen? Ringt jemand um Luft?

Melitta Breznik, 15.4.2020
Angst vor dem Tod? Bis jetzt hat mich das noch niemand gefragt. Wenn ich mir selbst antworte, dann sage ich ja, wahrscheinlich, es kommt immer drauf an, wie beeinträchtigt mein Gesamtorganismus durch Fieber ist, wie benebelt meine Wahrnehmung. Die schwierigsten Momente bei der jetzt grassierenden Erkrankung scheinen, wie Kollegen berichtet haben, kurz vor der Intubation zu sein, noch ein Gruß ins Smartphone an die Frau, die Kinder, den Mann, die Mutter. Dann wird es plötzlich finster um einen, man versinkt im Dunkeln, das dann wieder hell werden wird, nach zehn oder zwanzig Tagen, in denen sich die Pflegerinnen um die Ausscheidung, das Wundliegen kümmern, den Körper drehen und wenden, durchbewegen. Er kommt näher, der Tod, treibt sich im Freundes- und Bekanntenkreis herum. Ein Kollege hat mir gestern erzählt, dass ein Freund von ihm in der Lombardei zwei Tage nach der Einlieferung ins Spital verstorben ist. Den Hausarzt seiner Mutter konnte man nach vierzehn Tagen wieder aus der Intensivstation entlassen. Hier ist es ruhig, im Spital heute nur zwei Verdachtsfälle, die Zahl der Infizierten im Tal steigt sehr langsam.

Lisz Hirn, 15.4.2020
Wien. Auf der nächtlichen Fahrt in die Stadt zähle ich bis zur Autobahnauffahrt vier Autos, sechs Rehe, zwei Hasen und ein unidentifizierbares Viech am Feld. Nur mal kurz schauen, ob alles in der Wohnung passt. Nebenbei einen Blick auf mein vergangenes Leben werfen. Es fühlt sich verboten an, als ob ich bei einem Unfall „spärchteln“ würde. Alles ok, außer bei mir. Aus Nostalgie lasse ich mir einen Espresso runter, putze die Maschine, zieh den Stecker raus und schütte den heißen Kaffee in die Abwasch.

Benjamin Quaderer, 15.4.2020
Seitdem ich das Video gesehen habe, in dem sich Ursula von der Leyen die Hände wäscht, während eine Frauenstimme (vielleicht sie selber, nachträglich synchronisiert) die Europahymne summt, glaube ich wieder an Geister.

Ann Cotten, 16.4.2020
Kurz waren jetzt durch die abstrakt auf alle verteilte Todesgefahr die Verhältnisse gelockert. Angesichts des Ereignisses einer ungewöhnlich klar kommunizierten, zu wirtschaftlichen Prinzipien gegenläufig dynamischen Statistik wurden die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Wirtschaft neugeordnet. Noch besser, die fixierten relativen Werte waren erst einmal suspendiert, ohne schon eine neue Ordnung einzustellen. Während ich dies schreibe, sind sie immer noch offener als sonst, ich fühle geradezu das Spiel, das uns zur Verfügung steht und das wir hauptsächlich mit Gerede ausfüllen, anstatt zu schaukeln, was geht, um unsere Fesseln zu lösen.

Benjamin Quaderer, 16.4.2020
Am Backwarenregal bei Edeka habe ich vielleicht zum ersten Mal verstanden, was der Satz von der ‚nervösen Republik‘ bedeuten könnte. Als der Mann mit der komplett in Grün gehaltenen Fahrradbekleidung von der Frau neben ihm angesprochen wird – „jaja Mundschutz tragen, aber mit bloßen Händen ins Brötchenfach greifen“ –, sieht er sie für einen Moment fassungslos an. Dann schreit er: „Meine Hände sind desinfiziert!“ „Das ist ja schön“, antwortet die Frau, „aber die Zange benutzen können Sie ja vielleicht trotzdem.“ Wie man nur so dumm sein könne, schreit der Mann, wie man nur so unfassbar dumm sein könne, und gibt der Frau den Ratschlag, nicht alles zu glauben, was Frau Merkel ihr vorsetze, „schalten Sie doch einmal Ihr Hirn ein.“ Die Frau hat sich bereits kopfschüttelnd entfernt, alle andern tun es ihr gleich, der Mann schreit die Brötchen an, vom Ende des Gangs her kommen 2 Supermarktmitarbeiter auf ihn zu.

Thomas Stangl, 16.4.2020
Sie starrte auf sein Gesicht und gab sich Mühe, freundlich dreinzuschauen. Sie ging zum Fenster, während er redete, schaute aus dem Fenster, am Telefon vorbei, auf die leere Straße, stellte sich den Blick aus seinem Fenster vor, die leere Straße, das Haus gegenüber, wo Menschen aus dem Fenster schauten. Er redete wieder davon, dass man auf die Straße gehen könne, vielleicht heute. Ich glaube nicht, dass du heute rausgehen wirst, dachte sie. Ich glaube nicht, dass das gut wäre. Er schien jedes einzelne Wort endlos lang in seinem Mund zu zermahlen.

Birgit Birnbacher, 17.4.2020
fasziniert schaue ich mir die mobilitätsgrafiken an. unser radius hat sich von 12 auf 3 kilometer verkleinert. ich bin mit meinen 3 kilometern zufrieden, aber das ist nur glück, weil ich so weit draußen wohne, und gewohnheit, weil ich während der letzten jahre ein buch geschrieben habe und sowieso nicht viel weiter gekommen bin.

Julya Rabinowich, ohne Datum
Ich habe noch nie so viel Schokolade gehabt wie in diesen Tagen und noch nie so viel Zeit, diese zu verschlingen. Die härtesten Maßnahmen werden zurückgefahren, das verleiht das Gefühl einer trügerischen Sicherheit: alles könnte vorbei sein, bald. Ich weiß, dass es nicht vorbei sein wird. Die Grenzen sind zu, alle meine Herbstreisen wackeln, aber ich wage es, jetzt in den Wiener Prater zu gehen und den Hund ein wenig in der Sonne liegen zu lassen. Die Menschen sind entweder aufmerksam und freundlich oder ignorant und aggressiv, als hätte man die Spannung ihrer üblichen Betriebseinstellung angehoben. Manche beschimpfen uns, manche lachen uns aus, wenn wir um Abstand bitten. Ein Freund legt sich einen Stock zu, den er ausfährt, sobald sich ihm jemand nähert. Ich überlege, auch einen Stock mitzunehmen, bis ich erfahre, dass der Freund dabei auch in unbekannter Sprache schimpft und tanzt. Vielleicht führt der Stock zu Wesensveränderungen wie die Weltraumhose im Film „The wrong trousers“. Ich gehe also weiterhin unbewaffnet ins Freie und bin weiterhin Pazifistin mit Berührungsängsten. In meinen Träumen begegne ich ständig Menschen, denen ich auf mannigfaltige Art und Weise zu nahe komme.

Monika Helfer, ohne Datum
Post von meiner Freundin aus Madrid. Sie wohnt in einer Mietwohnung und kann vom Fenster aus auf den Retiro-Park sehen. Ihre Tochter Martina steht auf dem winzigen Balkon und ruft: „Mama, Zeit zum Klatschen!“

Birgit Birnbacher, 17.4.2020
in der pressekonferenz des vizekanzlers und der staatssekretärin für kunst und kultur gesteht man uns mit dem gestus eines mittelscheiteltätschelns zu, ein wirtschaftsfaktor zu sein. als einnahmenloser wirtschaftsfaktor sollen wir uns aber jetzt noch eine ganze weile ruhig verhalten. uns fällt dann schon was ein.

Daniel Wisser, 18.4.2020
Auf der Jesuitenwiese gehen sechs Jugendliche – jeder den linken und rechten Arm auf der Schulter des Nachbarn – provokant als Kette durch die Menge. Man kann sich jetzt ärgern. Man muss sich aber auch irgendwann daran erinnern, dass es einmal Subkulturen gab. Und man muss sich fragen, ob Subkulturen nicht ein gesunder Teil der Demokratie sind. Nichtwähler, Anarchisten, Ignoranten und Zerstörer muss man aushalten. Es ist wichtig, dass die Menschen etwas zerstören – und sei es (nur) sich selbst.

Monika Helfer, ohne Datum
Zwei Rehe laufen auf der Straße zum Supermarkt. Enten mit ihren Jungen spazieren zur Apotheke. „Die Stadt gehört den Tieren“, schreibt mir meine Freundin, „das ist schön und schrecklich zugleich. Katzen entfernen sich von der Kolonie und streichen um die Häuser, wilde Hunde suchen Futter. Keiner schneidet die Hecken und Bäume, sie wachsen und wachsen, Blumen verwelken, und neue wachsen in die verwelkten. Alle, die ich kenne, haben die Arbeit verloren, ob sie nach der Krise wieder eingestellt werden, wissen sie nicht.

Lucia Leidenfrost, 18.4.2020
Um die Welt geht die Nachricht, dass Pandabären in Zoos seit fünf oder mehr Jahren wieder Geschlechtsverkehr haben. Auf die Jesus-Statue in Rio wird ein Arztmantel projiziert, es gibt Autogottesdienste und -kinos, in Paris darf man sich nur noch in einem Umkreis von einem Kilometer des Wohnorts bewegen und auch sonst ist alles im Ausnahmezustand. Ich besuche per Satellitenbilder mein Heimatdorf, klicke mich online durch Straßen an Urlaubsorten. Bis ein Impfstoff kommt oder ein Medikament, bis wir beinahe alle Tracking-Apps verwenden, sagen die Fachleute, wird es keine Normalität geben. Das alles leuchtet sogar ein. Online lassen wir unsere Häuser weiterhin verpixeln.

Lisz Hirn, 18.4.2020
Luxus. Normalerweise reserviere ich eine Seite in meinen Notizbüchern zur Auflistung aller Orte, die ich im laufenden Jahr unbedingt bereisen will. Im alten musste ich die ganze durchstreichen. In meinem neuen traue ich mich nicht einmal, eine Seite dafür freizuhalten.

Kathrin Röggla, ohne Datum
Neue Worte: Nullpatient, Herdenimmunität, Reproduktionszahl, Seuchensozialismus, #togetheralone. Alte Worte: Folgeschäden, zweite Welle, Virus nach dem Virus. Halbneue Worte: Kriegserklärung, Remesdevir, Chloroquin, Antikörpertests. Neue Worte: Corontäne, Lockerung in Stufen, mysteriöses Vogelsterben. Halt, das gehört hier nicht rein.  Die Wortwahl hier stammt trotzdem immer seltener von mir. Ich finde nur noch massiv vorgebrauchte Wörter für mein Tagebuch vor. Die sind nun mit Sicherheit in einem Labor entworfen. Vielleicht doch dazu da, uns alle zu killen. Usw. Ich wünschte, ich könnte heute mehr Figurenrede zur Verfügung stellen. Nie ist Fiktionalisierung so leichtgefallen wie in diesen Tagen, habe ich doch noch gestern fabuliert, heute haben sich die Positionen in mir befestigt. Jetzt sage ich das. Aber das ist ja ein Tagebuch. Schon vergessen? Hm. Sehr alte Worte: EU-Außengrenze, Flüchtlingsdrama, Außengrenze, oh ich wiederhole mich, warum nur? Es sind doch unüberholbare Worte.

Bettina Balàka, 19.4.2020
An einem Samstagabend im Lockdown, auf einer Bank vor einer Kirche sitzend, bemerkte ich, wie in einen Seiteneingang derselben eine erhebliche Zahl von Menschen ging. Nach und nach, einzeln oder zu zweit, mit Mund-Nasenschutz gingen sie hinein: Eine illegale Messe! Eine Heilige Messe zu feiern, wenn es die staatlichen Mächte verboten hatten – das war seit der Römerzeit der sicherste Weg, um zum Helden des Herren zu werden. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist! Und Gottes ist es, sich in seinem Namen zu versammeln, denn: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Aber was denkt sich ein religiöser Mensch, was Gott sich dabei denkt? Er prüft mich. Seine Wege sind unergründlich. Vielleicht tut er es sogar aus Liebe.

Nava Ebrahimi, 19.4.2020
Ich habe mich dasselbe gefragt wie Christian Mähr in seinem Corona-Tagebuch, Episode 4: Wieso nimmt hier eigentlich niemand Bezug aufeinander? Mir scheint es manchmal, als säßen wir alle an einem Tisch, doch als redete jeder etwas vor sich her, jeder gefangen in seinem eigenen kleinen Kosmos.

Angelika Reitzer, 20.4.2020
Wir haben schnell gelernt, dass es nicht opportun ist, Covid-19 mit Influenza zu vergleichen, okay. Die wenigsten von uns kennen Menschen, die schwer erkrankt oder sogar gestorben sind, das ist natürlich gut und liegt statistisch daran, dass es hier wenige sind. Dennoch tun wir so, als würde eine totale Tödlichkeit von dem Virus ausgehen. Wir sind alle müde und niemand möchte darüber nachdenken, wie lange es noch dauern wird, bis es einen Impfstoff gegen Corona gibt (geschweige denn, alle Menschen geimpft werden können – oder zumindest Mitteleuropa, der Westen, der Norden?!) und/oder eine Durchseuchung wieder „normales Leben“ zulassen wird. Man muss nicht (aber man sollte) Agambens düstere und leider berechtigte Kommentare lesen („Auf der Angst, das Leben zu verlieren, lässt sich allein eine Tyrannei errichten“), um zu verstehen, was wirklich gemeint war mit diesem „Koste es, was es wolle!“ (sinnigerweise aus den Mündern der Finanzminister).

Robert Pfaller, 20.4.2020
Das Virus wird vermutlich nicht nur so lange für gefährlich gelten, wie es die Risikogruppen in der Bevölkerung bedroht, sondern so lange, wie die Verantwortlichen für die Sondermaßnahmen befürchten müssen, das Gesicht zu verlieren.

Helena Adler, 20. 4.2020
Ich bin das fahle Pferd, stelle ich fest, ziehe meine Mundwinkel nach unten und schürze meine Unterlippe. K.G. formuliert wunderbare Fragen: Die Figur, die im Zentrum Ihres Debütromans steht, ist eine, die sich zu wehren weiß: Ist Schreiben eine Form von Sich-Wehren? Wenn ja: Wogegen? Und ich antworte so, wie mein verwachsener Schnabel klappert, und wenn er klappert, dann scheppert‘s. Meistens. Sprache bedeutet für mich oft so etwas wie ein Kontern gegen die Welt, auch gegen ihren Status quo. Es ist ein sich Wehren gegen die Zumutung des Lebens an sich. Gegen die Zumutung der Bewusstheit über das Sterben seiner Liebsten und das eigene Sterben. Ein kompletter Rundumschlag. Ein verbaler Widerstand gegen diese Hineingeworfenheit in die Welt, ein sich Auflehnen gegen den Umstand, dass man nie gefragt worden ist, ob man geboren werden will oder nicht. Darüber möchte ich wüten. Über dieses Ausgesetzt-worden-sein. Die Sprache ist für mich das wirksamste Verteidigungsattribut, das ich besitze, auch, wenn ich bestimmt gut zuschlagen könnte.

Nava Ebrahimi, 20.4.2020
Innenschau; halte ich nicht mehr aus. Mich nerven meine Schriftstellernöte. Was an mir ist überhaupt noch Schriftstellerin? Wer mich in meinem Alltag ein paar Tage lang begleitete, käme nicht auf die Idee, ich sei Schriftstellerin (außer vielleicht montags zwischen 20 und 23.59 Uhr, wenn ich mein Corona-Tagebuch schreibe).

Valerie Fritsch, 20.4.2020
Jeder Baum ist eine Telefonzelle der großen Liebe. Unter jedem Baum steht dieser Tage ein Liebender, dem eine Entfernung passiert ist. Unter einem Kirschbaum steht ein Mann und sagt ins Telefon: Ich rufe Dich an, um Dir zu sagen, dass ich weit weg bin, unter einem Apfelbaum küsst eine Frau die Stelle des Geräts, aus der die Stimme kommt. Nur die Hunde gehen bloß von einem zum anderen und heben das Bein. Neben einer Buche entschuldigt sich bedauernd eine Dame im Sonnenschein für das schlechte Wetter, an der Fichte schweigt ein Herr in den Apparat, bei der Blutpflaume am Gartenrand schaut ein Mädchen zu Boden und meint: vielleicht ist es wahr.

Michael Stavarič, 21.4.2020
Ich hatte vor einigen Jahren darüber nachgedacht, was denn meine allererste Erinnerung gewesen sein mag und kam zu folgendem Ergebnis: Es war das Licht vorbeiziehender Autoscheinwerfer (auf der Zimmerdecke), ich konnte als Kind oft nicht einschlafen und war immer froh, wenn etwas Licht die Dunkelheit erhellte. Das Licht befeuerte schon damals meine Imagination, die Lichtkegel waren gleichsam wie Leuchtfeuer, sie glichen lumineszierenden Lebewesen einer nächtlich-dunklen Tiefsee des Kinderzimmers, sie blieben meine ersten, bis heute erhaltenen Erinnerungen.

Monika Helfer, ohne Datum
Meine Nachbarin, sechsundneunzig Jahre alt, fragt mich über den Zaun, ob man Corona essen kann.

 

Die Corona-Tagebücher. Ein Projekt des Literaturhauses Graz

Konzept: Klaus Kastberger. Redaktion: Agnes Altziebler, Elisabeth Loibner.
© Bei den Autorinnen und Autoren. Nachdrucke nur nach deren schriftlicher Genehmigung und mit dem Hinweis: Der Text ist Teil des Projekts „Die Corona-Tagebücher“ des Literaturhauses Graz.

Weitere Infos: agnes.altziebler@uni-graz.at, Tel. (derzeit): 0664/8565146