Ich bin erst kürzlich umgezogen. Die letzten Nachbarn waren zu laut. Da erfährt man schließlich Dinge, die man gar nie wissen wollte. Aus einem meiner derzeitigen Nachbarhäuser jedoch auch. Um etwa ein Uhr früh zwei Männerstimmen. Am Anfang noch Stöhnen, später Schreie. Und Metallgeräusche, als wäre jemand an einem Rohr angekettet. Natürlich werfe ich einen Blick aus dem Fenster, und nur bei wenigen in der Umgebung brennt Licht. Ein Schuhlöffel und ein funktionierender Operngucker fehlen mir in der Wohnung also noch. Von den Geräuschen her, hat es mich an James Francos Dokumentation Kink erinnert, die der gleichnamigen BDSM-Porn-Website hinter die Kulissen blickt. Ich stelle mir also auch das Gespräch vor, in dem die beiden zuerst aushandeln, was sie eigentlich machen. Eine Unterhaltung, die in den Nicht-BDSM-Pornos fehlt. Kink wurde bereits 2013 beim Pornofilmfestival Berlin gezeigt. Mittlerweile gibt es dieses Festival schon seit 10 Jahren und gezeigt werden Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme, Retrospektiven und am Ende gibt es eine große Preisverleihung.
Man wird hier wenige Filme finden, in denen es sich nur um Sex als Performance mit all den Choreografien und oder als Sport wie Ausdauer und Flexibilität der Darsteller dreht, die im Mainstream-Porno geboten werden.
Vielleicht mag sich das auch für einige enttäuschend anhören, aber nein, es sitzen beim Pornofilmfestival auch nicht alle masturbierend in ihren Kinosesseln. Was hier gezeigt wird reflektiert zwar selbstverständlich auch Dinge aus dem Mainstream (nicht nur dem pornographischen, wie 50 Shades of Dylan Ryan beweist), sondern zeigt eine Art von Film, die oft keinen anderen Platz hat: Filme in denen ein erigierter Penis zu sehen ist, werden üblicherweise bereits als Hardcore-Porno eingestuft. Was ist aber mit dem Spielfilm, in dem wir nicht nur mehr als genug Handlung finden, die sich nicht speziell um den Akt dreht, und da sind ein-zwei Sexszenen in denen eben nicht brav abgeblendet wurde. Jene wenigen Filme, in denen Sex gezeigt wird, als normalen integrativen Bestandteil dieser fiktionalen Welt, die uns der Film bietet? Also Filme, die eine Sexualität zeigen, die vor vierzig Jahren als „hardcore“ gilt, heute jedoch im Finden von immer neuen Extremen in der Branche harmlos wirken. Warum wurden sie in die Pornoecke gestellt? Wäre es nicht gesünder, diesen Filmen die Öffentlichkeit eines normalen Spielfilms zu bieten? Keine Abspaltungen mehr. Also ja, doch Pornografie ins Hauptabendprogramm. Wer glaubt ich hätte die Verbreitung von dreiminütigen doublepenetration Clips am Familienfernseher im Sinn, weiß zu wenig über Pornografie. Kein extra ausgewiesenes, da kommt jetzt etwas und darüber sollte man nicht reden und zu passieren hat das im verschlossenen Kämmerchen und ein Gebrauchsfilm eben, während Anspielungen auf richtig harte Pornografie von den Plakatwänden lachen – sondern das Medium Film als das zulassen, was es von Anfang an sein wollte: Abbild.
Dieses Jahr war einer der Schwerpunkte beim Festival übrigens Sex und Behinderung. Die Dokumentation Die Menschenliebe zeigt die Suche nach Sex von zwei Männern mit sehr unterschiedlichen Arten der Behinderung. Vielleicht ist es Zeit, dass die Normalität von Sex und nicht nur Extremversionen ihren Auftritt in der Öffentlichkeit bekommen.
Cordula Simon, Schriftstellerin, geb. 1986 in Graz, studierte deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa. Koordinatorin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz und Mitglied der Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt veröffentlicht: „Ostrov Mogila. Roman“ (Picus, 2013).