Diese Formulierung gibt Raum für mehrfache Deutungen, die ich im Folgenden unterteilen möchte:
Aus allem kann Literatur werden, naturgemäß, könnte man sagen, so wie man naturgemäß am Graben keine Krawatte fand, wenn man denn Thomas Bernhard war und eine suchte. Anders gesagt: Man kann aus einem verfehlten Krawattenkauf einen sprachlich ausgefeilten, durchkomponierten Text gestalten. Man kann aus einer hochkomplexen Materie wie etwa der Frage, wie der Krieg in Syrien aufzulösen wäre, vielleicht noch keine Literatur machen, zumindest nicht hier und heute, einfach, weil die Aufgabe zu groß ist, weil der Konflikt drängt und direkte, auch sprachliche Antworten erfordert. Weil Literatur ihrem Wesen nach Zeit braucht und eben nicht tagesaktuell reagieren kann. Das können andere Textformen besser, konzeptionelle, journalistische, essayistische, was sie aber eben darum im Moment auch so wichtig macht.
Zwangsläufig inhärent ist die Frage nach der Definition des Begriffs „Literatur“, und, weil jede Definition den Drang nach Abgrenzung in sich trägt, eben auch danach:
Diese Frage erscheint mir ebenso unbeantwortbar wie die Frage, wohin sich das, was unter dem Begriff so subsummiert wird, entwickeln wird, doch dazu später. Persönlich behelfe ich mir mit der Überlegung, dass es ein Kondensat von Gedankenfolgen in Form eines Textes ist, der nicht nur auf der bloßen Narrativebene basiert (für jede Kurzmeldung muss ja bereits ein „Narrativ“ behauptet werden: Anfang, dramatischer Höhepunkt und Ende des Erzählspannungsbogens, dieser größten aller Lügen, wenn man ihn mal auf seine Realitätstauglichkeit hin abklopft, tatsächliches Erleben gehorcht ganz offensichtlich solchen Gesetzmäßigkeiten nicht, allenfalls sind diese Strukturen als Form der Erinnerungshilfe psychologisch erklärbar). Ein literarischer Text besteht eben auch wesentlich aus seiner Form, durchaus auch optisch, verweist durch Sprachklang, Anspielungen und inhaltliche Verweise, Rhythmisierung und Strukturierung über sich selbst hinaus und damit auf sich selbst als eigenständiges Sprachkonstrukt zurück, das – und sei es nur vor dem inneren Ohr der Lesenden – auch Unter- und Obertöne zum Klingen bringen kann. Solange, bis die Metaphern eben klappern.
Gerade weil jede Beobachtung, jede Wahrnehmung, jede Reflexion in sich das Potential trägt, die Basis für Literatur zu werden, erfordert die Entstehung von Literatur in jedem Fall genaues Hinsehen. Dann das Exzerpieren, Konzentrieren, Formulieren. Durcharbeiten, zumindest ist das meine Herangehensweise, neu Formulieren, bis der Text sitzt, Perfektion ist natürlich nicht zu erreichen und auch nicht erstrebenswert, denn die würde wohl zu Lasten der Durchlässigkeit, Erfahrbarkeit des Textes gehen.
Der Versuch, Prognosen zu erstellen, straft sich naturgemäß selbst. Festzuhalten ist aus meiner Sicht, dass der Druck auch auf uns Produzierende in Richtung Unterhaltung wächst. Um nicht missverstanden zu werden: Unterhaltung hat ihre Berechtigung, Freude an Komik und Zerstreuung ist ein menschliches Grundelement, das Bedürfnis nach Ablenkung in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Schwierigkeiten ist nur zu verständlich. Ich bin selbst Konsumentin von Kriminalromanen, der tendenziell spießigsten aller Formen, doch zur hörbuchbasierenden Begleitung sportlicher Aktivitäten (zur Motivation an grauen Wintermorgen) funktioniert für mich weniges besser als der Scheherezade-hafte Suspense des letzthin unterbrochenen Erzählbogens, des Dürstens nach Fortsetzung. Also nichts gegen Unterhaltung, solange sie unter ihrer Unterhaltungsflagge segelt.
Schwierig wird es, wenn sich die Tendenz abzeichnet, dass mehr und mehr als „ernsthafte“ Gegenwartsliteratur Verbrämtes starken Unterhaltungs-, sprich, Trivialitätseinschlag zeigt: das engt den Raum für Komplexes, zur Reflexion, Entdeckungslust, durchaus auch zum Widerspruch Anregendes zusehends weiter ein, und der ist ohnehin schon klein genug. Man könnte zur kulturpessimistischen Schlussfolgerung gelangen, dass der Literaturbegriff sich zugunsten einer als gut geschriebenen bezeichneten, also plotmäßig sauber gestrickten und sprachlich ohne größere Redundanzen und allzu heftig klischierende Bilder auskommende Unterhaltungsliteratur verändern könnte, wobei sich die beiden Wortteile schon von allein feindselig ineinander verbeißen, doch sei es drum. Andererseits birgt die Übersättigung mit solcher Absehbarkeit – und das ist es vielleicht, worin sich Unterhaltungsmedien, nicht nur –texte, am ehesten erschöpfen –, durchaus auch das Potential für Freude an der Rezeption von Frischerem, Radikalerem, Riskanterem, das helfen könnte, das eigene Denken ebenso frisch zu halten.
Olga Flor, Schriftstellerin, geb. 1968 in Wien, lebt in Graz und Berlin. Sie studierte Physik und arbeitete im Multimedia-Bereich. Jüngste Romane: „Die Königin ist tot“ (Zsolnay, 2012), „Ich in Gelb“ (Jung und Jung 2015).