© Cordula Simon
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Cordula Simon: Liebeslüteratur

in Writers' Blog

Das Internet, mit all dem Einfluss auf die heutige Pornografie und auf den heutigen Buchhandel bringt bisweilen Blüten zutage, von denen wir in der analogen Welt verschont blieben:
Pornografische Literatur von fragwürdiger Qualität, die es auf Amazon-Bestsellerlisten schafft. Damit ist nun weniger das nur mäßig erotische Werk „50 shades of grey“ gemeint, als eher ein neues Phänomen: Kurzzeitig in der Kategorie „Partnerschaft“ sogar auf Platz achtzehn, aber auch in anderen Kategorien unter die Top fünfzig gezählt und wohl bedingt durch die Fluktuation, die das Netz so mit sich bringt, bald wieder vom Bestsellerlistenthron der Website gestoßen, verwirrt „Die Antwort auf die Träume“ von Raine Wingel/Rainer Winkler.
Der Klappentext verspricht die Geschichte eines fünfundzwanzigjährigen Schriftstellers und Filmemachers, der in Sachen Beziehungen völlig unerfahren ist und dessen Leben eine überraschende Wendung nehmen soll.
Tatsächlich beginnt das nur vierundsechzig Seiten umfassende E-book damit, wie der besagte Protagonist vor dem Computer sitzt und sich selbst befriedigt, bevor eine Frau, die seiner Partnerannonce nachgehen wollte, vor seiner Tür steht. Der Inhalt ist schnell erzählt: Er schläft mit dieser Frau, dann mit ihrer besten Freundin, die auch zu ihm nach Hause kommt, schließlich mit ihrer Tochter, nochmals mit ihr und ihrem Mann, dann vertreibt er den Ex-Freund der Tochter und heiratet diese.
Nebst einer höchst originellen Orthografie (schort’s für Shorts, Bäckchen für Becken, und eine Einstellung lässt sich auch entern) ist auch die stilistische Besonderheit zu erwähnen: Man hat den Eindruck als hätte ein dreizehnjähriger, der sich für Doktor Sommer hält, versucht einen Erotikroman zu schreiben.
Ein groteskes und naives Frauenbild, in dem die Frauen nicht nur ständig wollüstig am Protagonisten hängen, sondern ihm auch ständig im Doktor-Sommer-Ton sagen, dass er der Größte und Potenteste auf der Welt sei. „Ein Mann wie sich viele Frauen einen wünschen.“ Ständig lächeln sie oder schauen ihn gespannt an und man fragt sich, ob eben dieses Frauenbild aus einem Manga übernommen wurde. Hier gibt es multiple Orgasmen und lustvolles Wimmern und gestöhnt muss mindestens einmal pro Seite werden. Weibliche Ejakulation, Entjungferung, Penispumpen. Alles was im Buch vorkommt wird genagelt. Dazwischen Verkitschung in einem Ausmaß, das jeden Nackenbeißerroman alt aussehen lässt. In einer Art Nachwort wird uns eröffnet, dass es sich bei dem Werk um Autofiktion handelt.
Kurzum: Nicht gerade ein Text, den man klassischerweise unter den Bestsellern vermuten würde.
Nun handelt es sich jedoch nicht einfach um ein Werk, dass nur auf der Bestsellerliste zu finden ist, sondern dem die Welt auch eine Unmenge positiver Rezensionen angedeihen hat lassen. Nur drei kritische Stimmen finden sich unter den Rezensenten und diese kritisieren oft auch eher Amazon und weniger den Text, der auf der Seite als Fünf-Sterne-Buch verzeichnet ist.
Die Rezensionen haben oft einen ironischen Anschein: Es handle sich um ein Jahrhundertwerk, die Figuren hätten Tiefe, die Sprache sei ausgeklügelt und man hätte es mit dem neuen Thomas Mann zu tun, Helene Hegemann könne einpacken, vorausgesetzt sie gäbe sich zuvor dem Protagonisten hin.
Das ganze Szenario wirkt wie ein Spiel, eines nur digital fungierenden Flashmobs und eine damit einhergehende Verzerrung der Marktgesetze, die Amazon als meritokratische Gegebenheit sehen möchte. Wer jedoch hat sich die Mühe gemacht es aufzuziehen? Hat der Autor es tatsächlich selbst veröffentlicht? Unsicher ist auch wer damit beschämt werden soll: Amazon, die Leser, oder der Autor? Ich entscheide mich für Amazon.

Simon_bearbCordula Simon, Schriftstellerin, geb. 1986 in Graz, studierte deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa. Koordinatorin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz und Mitglied der Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt veröffentlicht: „Wie man schlafen soll. Roman“ (Residenz, 2016).