Buchtipp für den Sommer von Elisabeth Loibner.
Erst kommt das Fressen,
dann kommt die Moral.
(B. Brecht)
Ein, wie ich finde, dramatisch-packender und zugleich verstörender Roman, der schonungslos an die tiefsten Abgründe des menschlichen Wesens heranführt.
Geschildert wird auf kolossalen 600 Seiten und beruhend auf historischen Ereignissen die Geschichte um das Floß der Medusa, eine der größten Schiffskatastrophen der Neuzeit, die heute trotz diverser künstlerischer Bearbeitungen des Stoffes weitgehend unbekannt ist. 1816 startete die Fregatte Medusa von Rochefort aus und lief zwei Wochen später vor Senegal auf Grund. Auf einem selbstgebauten Floß auf offener See ausgesetzt, fand man letztendlich nur 15 von 147 Menschen, die einen bestialischen Überlebenskampf hinter sich hatten.
Franzobel, der dafür ungemein aufwendig recherchiert hat, erzählt in seinem Roman immer wieder aus der Innenperspektive einzelner Seeleute und Reisender und inszeniert vor allem eine Erzählerstimme, die aus unserer heutigen Gegenwart heraus den Fortgang der Geschichte beschreibt und kommentiert – ein Kunstgriff, der es Franzobel ermöglicht, die Leser ins 19. Jahrhundert mitzunehmen, ohne dabei sprachlich antiquiert zu klingen, im Gegenteil wird so die Handlung zum Teil auf spielerisch-komische und – passend zur rauen Seemannswelt – auch auf schräge und derbe Weise erzählt.
Achtung: Verlieren Sie beim Lesen auf Ihrer Luftmatratze nicht das Ufer aus den Augen!
Franzobel: Das Floß der Medusa. Roman. Zsolnay 2017, 592 Seiten