Ich möchte auch von Wolfgang Bauer profitieren
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Bauer-Fans und Literatur-Freunde! Ich möchte auch wieder einmal von Wolfgang Bauer profitieren!
Meine eher ephemere Legitimation, Sie hier und jetzt mit meinen Erinnerungen zu traktieren, besteht darin, ihm vor ca. 2 Generationen über den Weg gelaufen zu sein. Seither habe ich neben „Begegnungen mit einem bemerkenswerten Dramatiker“ auch über Bauer als Filmregisseur geschrieben, über seine eigenen Erinnerungen an Filmbesuche und was weiß ich noch. Insbesondere vertrat ich die Meinung, dass Wolfgang Bauers Stücke jüngeren Datums, obgleich sie kaum gespielt werden, bedeutender sind als seine frühen wie „Magic Afternoon“ oder „Party for Six“. Indem ich dieses von dem allzu früh Verstorbenen gleichsam geerbte, literarische Hausgärtlein beackerte, wurde ich allmählich – wenn auch ohne kontinuierlich einlangendes Salär – zu einer Art Literaturbeamten. Dabei bediente ich mich einschlägiger Anekdoten und Erinnerungen so häufig, dass sogar mich ihre ewigen Wiederholungen ermüdeten. Man kann sagen, je länger ich lebe, desto blasser werden meine Erinnerungen an den großen Dramatiker, ja sie kommen mir eine nach der anderen abhanden.
Aber ich will unbedingt noch einmal von meinen Erinnerungen an Wolfgang Bauer profitieren!
Als einziges bisher ungenütztes Material, als letzte nicht erinnerte Erinnerung für meine Totenbeschwörung, verfügte ich nur mehr über ein Filmexposé, bei dessen Abfassung mir Wolfgang Bauer gefälligerweise geholfen hat.
Der Name der Geschichte – „Tief Oben“ – ist natürlich eine Anspielung auf Joris-Karl Huysmans’ „Là-bas“ – und ihr Zentrum ist der genialische Uhrmacher und Wasserbaumeister Gasteiger, der, ursprünglich aus dem Süddeutschen kommend, unter anderem den nach ihm benannten Holzrechen in Großreifling und den Treidelpfad entlang der Enns angelegt hatte. Dem Demiurgen Gasteiger wurden gute Beziehungen zum Teufel und anderen okkulten Kräften nachgesagt, obwohl er 1581 in den Adelsstand erhoben wurde. Die üble Nachrede hatte ihren Ursprung vermutlich in dem Misstrauen, das die Katholischen während der Gegenreformation gegenüber einem gottlosen Kryptoprotestanten hegten.
„Tief Oben“ spielt in einer Stadt namens Eisenerz, die damals ein Nucleus der sich formenden österreichischen Identität war, mittlerweile aber durch den Niedergang der Eisen- und Stahlindustrie längst bedeutungslos geworden ist. Der Wiedergänger Gasteiger verlässt also sein magisches Eisenblütenkästchen, um sich für lange zurückliegendes Unrecht in einer Gegenwart zu rächen, deren Insignien nicht mehr Schlegel & Eisen oder die von den Bergleuten gebastelten Eisenblütenkästchen sind, sondern Gösser Bier, Mannerschnitten und Mittelklasseautos.
Es kann nicht verwundern, dass mein Talent von dieser Materialfülle überfordert war. Als mir daher Wolfgang Bauer, dem ich von meinen Problemen erzählte, großzügig seine Hilfe anbot, nahm ich sie gerne an.
An einem Sommernachmittag kam er also von der Katzianergasse in die leicht bergab fallende Steyrergasse 86, wo ich mit einer Flasche Johnny Walker auf ihn wartete. Während ich ihm, soweit vorhanden, den Hergang der Geschichte erzählte, leerten wir in meinem heißen Zimmer unter Dach die Whiskyflasche. Danach, wieder auf der Straße, verabredeten wir uns in tadelloser Haltung zu einem neuen Treffen. Wolfgang Bauer kam pünktlich zu diesem nächsten und auch zu allen folgenden Treffen in die Steyrergasse, die während dieses Sommers immer menschenleerer und staubiger wurde.
Getrunken wurde während der Arbeit nichts, außer gelegentlich einer Flasche Bier, die wir uns teilten. Er setzte sich dem IBM XT gegenüber, in den ich unseren Text eingab, zündete sich eine seiner roten Marlboros an und legte los. Von diesen Sitzungen ist mir vor allem in Erinnerung, dass Wolfgang Bauer, heftig an seiner Zigarette ziehend, sich immer wieder die eine Frage stellte: „Und was passiert jetzt? Und was macht er dann? Was macht er jetzt?“
Ich muss gestehen nicht mehr zu wissen, warum wir das Exposé nicht bis zu einem Drehbuch getrieben haben. Mag sein, dass ich für Wolfgang Bauer an dem IBM XT einfach zu langsam war, mag sein, dass ich vor einer Realisierung des von ihm imaginierten Endes zurückschreckte: Bauer ließ die ganze Stadt in Flammen aufgehen, während Gasteiger hohnlachend die Eisenerzer Alpen abschreitend auf das Chaos hinabblickt. Zu meiner Erleichterung nahm er mir den Ausstieg nicht übel, und als es später auf Grundlage unseres Exposés tatsächlich etwas Geld für eine Fortführung des Projektes gab, weigerte er sich, die Hälfte, die ihm doch zustand, zu akzeptieren.
Die ursprüngliche Idee für heute Abend bestand darin, dieses gemeinsam verfasste Exposé von „Tief Oben“ zu lesen, um dann Teile, die Eingang in das Drehbuch und den schließlich gedrehten Film gefunden hatten, zu projizieren. Die Inszenierung von Teilen eines Drehbuches, die auf einem Exposé von Wolfgang Bauer gründeten, so dachte ich, konnte wohl als Überschreibung eines Textes aufgefasst werden.
Dieser Plan scheiterte allerdings an der Vergesslichkeit und Gleichgültigkeit gegenüber meinen Arbeiten, die mit der Vergesslichkeit und Gleichgültigkeit vergleichbar ist, die Wolfgang Bauer seinen Arbeiten gegenüber aufbrachte. Mindestens zwei seiner Stücke, das gemeinsam mit Gunter Falk geschriebene, legendäre „Schlupfkirsch“, nach anderen auch „Schlupfkirschen“ genannt, und das kürzlich in Leibnitz entdeckte Frühwerk „Der Rüssel“ sind ihm ja zu Lebzeiten abhanden gekommen. Nachdem ich einige der 42 Schachteln, die meine Identität im Nachleben ausmachen werden, ergebnislos durchstöbert hatte, gab ich w. o.
Jetzt wäre ich gern Raucher. Dann könnte ich mir unter Berufung auf die künstlerische Freiheit dieses Auftrittes eine Marlboro anstecken und heftig an ihr ziehend fragen: „Und was macht er jetzt? Was macht er? Was macht er dann?“
Mein Plan B bestand dann darin, einige von Wolfgang Bauers Gedichten aus „Das Herz“ und „Das stille Schilf“ auszuwählen und sie den sogenannten klassischen Gedichten, die ihn inspiriert hatten, gegenüber zu stellen. Wolfgang Bauer hatte diese Gedichte gewissermaßen überschrieben, und ich wollte seine Überschreibungen zurückschreiben, indem ich sie erst in diesem, solchen klassischen Texten vorbehaltenen Tonfall las, um dann die klassischen Vorbilder mit Bauers ironisch-pathetischem Stil vorzutragen. Aber wie Sie, wertes Publikum, meiner bisherigen Performance leicht entnehmen können, bin ich diesem Konzept weder stimmlich noch schauspielerisch gewachsen. Ganz abgesehen davon, dass ja mein Freund Günter Eichberger schon zuvor eine ähnliche Idee entwickelt hat.
„Was macht er jetzt. Was wird er jetzt machen? Und was passiert jetzt?“ Für einen Plan C wird die Zeit allmählich knapp. Wie kann ich von Wolfgang Bauer profitieren?
Mein Ehrgeiz, mich nicht zu wiederholen, ist das Pendant zur Vergesslichkeit und Gleichgültigkeit gegenüber meinen Arbeiten. Eine weitere Eloge auf das Spätwerk von Wolfgang Bauer war daher ausgeschlossen. Konnte ich nicht statt dessen umgekehrt begründen, weshalb Bauer es vielleicht verdiente, seltener gespielt zu werden? Ein befreundeter Germanist, dem ich von diesem Plan erzählte, hieß ihn gut. Allein die Idee, den literaturwissenschaftlichen Comment in Frage zu stellen, der Bauers spätes Werk mittlerweile für bedeutender einschätzte als sein frühes, würde mir in einschlägigen Kreisen einen Aufmerksamkeitsbonus eintragen. Konnte ich nicht auf meiner relativen Kenntnis des Autors aufbauend die Gründe dieser Ablehnung analysieren und im Weiteren mit etwas Glück neue Aspekte in seinem Werk aufspüren?
Es gibt ja dieses Phänomen, dass berühmte Künstler, ja Giganten, ohne dass klar ist warum, auch Werke schaffen, deren sich ihre Verehrer beinah fremdschämen. „Salambo“ von Flaubert gehört dazu, dabei ist die Karthagische Prinzessin mindestens so aufregend wie die weithin geschätzte „Madame Bovary“. Und in der österreichischen Literatur wird Stifters „Nachsommer“ stets seinem Ritteroman „Witiko“ vorgezogen. Dieses Phänomen findet sich auch in den Bildenden Künsten: Gegen den „Schrei“ von Munch ließe sich sein gesamtes, großformatiges Alterswerk eintauschen. Im Medium des Films tritt das Phänomen besonders heftig und rätselhaft ans Licht. James Clavells Film „Das vergessene Tal“ über den dreißigjährigen Krieg, immerhin mit Michael Caine und Florinda Bolkan ist unverständlicherweise ein großer Flop gewesen. Und ohne allzu große Eitelkeit darf ich sagen, dass „Tief Oben“, in dem immerhin Peter Simonischek und Barbara Steele mitspielen, ein noch größerer Flop geworden ist.
Wie schon erwähnt ist das Exposé zu „Tief Oben“ bedauerlicherweise in meinem Archiv verschollen und ich erinnere mich nur mehr weniger Details. So geht z.B. der widergängerische Gasteiger als erstes in ein Gasthaus und bestellt sich ein Bier: „Der erste Schluck nach 500 Jahren!“.
Ich kann nur mehr vermuten oder erinnern, was von Wolfgang Bauer in „Tief Oben“ eingeflossen ist. Aber mein Verlangen, „Tief Oben“ zu rehabilitieren, gleicht dem Verlangen, von Wolfgang Bauer zu profitieren. Deshalb schrecke ich nicht davor zurück, ihnen ein paar Ausschnitte zu zeigen, die von Bauer stammen oder jedenfalls Überschreibungen seiner Arbeit darstellen. Meine Damen und Herren ich wünsche ihnen eine gute Projektion.