Prophezeiungen
Wenn es Winter wird und kalt, möchte ich verreisen. Wenn die schlechten Nachrichten in den Zeitungen schlechte Gewohnheiten werden, will ich die Koffer aus den dunklen Nischen ziehen und fortgehen, für ein paar Tage nur, an jene menschenfernen, unverortbaren Flecken der Welt, deren bloße Existenz all die böse macht, die einen lieben, weil man so gut und rücksichtslos in ihnen verschwinden kann. Würde gerne wie Jona einen Wal besteigen und mich jeder einzelnen düsteren Prophezeiung verweigern. Säße in der Wiege der Rippen des falschen Fisches und führe mit meinem organischen U-Boot tief hinab. Läge ihm im Magen mit unter dem Kopf gekreuzten Armen und hörte den weit reisenden Gesängen der Unterwassermusik des Tieres zu, dass das Meer ein einziges Radio wäre. Horchte auf die Drums seiner Herzschläge, die den Körper erzittern ließen in gewaltigem Rhythmus. Ich machte blauwalblau von den apokalyptischen Vorhersagen und nervtötenden Alarmismen der Zeit und käme irgendwann wieder aufgetaucht mit lauter guten Nachrichten: dass das Meer ein einziges Singen und das Herz eines Blauwals groß ist wie ein Kleinwagen.
Im Übrigen: Jona, der biblische Prophet, floh einst aufs Meer hinaus, um das Wort Gottes von der Zerstörung der Stadt Ninive nicht verkünden zu müssen. Im Alten Testament wurde sie verschont, und heute heißt sie Mossul. Vor zwei Jahren sprengte der Islamische Staat die Jonas-Moschee, in der das überlieferte Grabmal des vom Walfisch Verschluckten lag.
Valerie Fritsch, Schriftstellerin, geb. 1989 in Graz. Studium an der Akademie für angewandte Photographie, Mitglied der Grazer Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt erschien der Roman „Winters Garten“ (Suhrkamp, 2015).