mike markart: ulf. drama in einem aufzug

in Dossier: Wolfgang Bauer

die bühne ist ein kellerraum. er2 steht an der tür des aufzugs und verhindert damit, dass sie sich schließt. sie steht bereits im lift. er1 steht ausserhalb des lifts. es ist nur der lift beleuchtet. also ist nur die allernächste umgebung zu sehen. die restliche bühne ist dunkel.

er1: (versucht er2 von der lifttür wegzudrängen)
nehmen Sie gefälligst den fuss aus der tür!
er2: nein. ulf ist noch nicht da.
wir warten auf ihn.
ohne ihn fahren wir nicht.
er1: werden Sie doch vernünftig.
er wird nicht kommen. glauben Sie mir.
er schikaniert uns alle, weil wir immer vergeblich auf ihn zu warten haben.
Sie müssen sein spiel ja längst durchschaut haben.
wie alle anderen auch.

er2: ohne ulf wird dieser aufzug nicht losfahren. das kann ich dir garantieren.

sie: (gelangweilt) wenn das noch lange dauert, hole ich mir einen kaffee.

er1: nein, bleiben Sie da. wir haben es eilig.
also: fuss raus und los gehts.
(er2 denkt aber nicht daran, die tür freizugeben)

er1: das publikum ist bestimmt bereits ungehalten.
man kennt das publikum in provinzstädten wie dieser ja.
die schreien und brüllen sofort, wenn ihnen irgendetwas nicht passt.
wenn irgendetwas nicht nach ihrem kopf geht.

sie packen ihre manteltaschen voll mit ihrem genervten leben und kommen damit ins theater.
beim kleinsten anlass explodieren diese menschen also.
und je weiter oben sie sitzen, je billiger also ihre plätze sind, desto ausgelassener randalieren sie.
aus der dunkelheit heraus.
im 3. rang, im armenhaus also, sind die gefährlichsten zuhause.
(genervt, zu er2) gehen sie endlich von der tür weg.
Sie ruinieren uns die premiere.

er2: keinen millimeter.
(er1 macht eine drohende gebärde)
er2: (abwehrend) komm mir nicht zu nahe.

er1: schön für den autor, dass er schon tot ist, dann erspart er sich das wenigstens.
denn eines ist sicher: die logen sind angefüllt mit gelangweilten kulturredakteuren.
die warten auf so etwas.
das sie aus dem schlaf holt. ganz unerwartet.

sie: (verlässt den lift, um sich – wie angekündigt – einen kaffee zu holen)

er2: die literaten tun eh nichts anderes, als alles, was ihnen nicht passt aufzuschreiben.
und alles, wovor sie angst haben.
heutzutage ist es darüber hinaus so, dass sich kein autor mehr monatelang hinsetzt und sich die sätze aus dem gehirn quält.
heute gehen die autoren ins theater oder in die weinbar.
im theater lümmeln sie in die weichen sesseln, hören zu und schreiben einfach alles auf, was ihnen von der bühne diktiert wird.
und in der weinbar holen sie sich ausreichend nebel ins gehirn, und plappern einfach drauf los.
früher gab es in dieser stadt einen geisteskranken, der um den leonhardfriedhof und das landeskrankenhaus seine kreise zog. er konnte ausgezeichnet reimen und singen. und sein kindliches gemüt brachte die menschen dazu, ihm eine münze zuzustecken oder ihm eine jause zu kaufen.
die autoren versorgte der schöne edi, wie er sich nannte, jahrelang mit ideen.
dementsprechend war es mit der literatur in dieser stadt zu ende, als man den schönen edi mit einem wagen abtransportierte und im landessonderkrankenhaus unterbrachte.
im geschlossenen teil.
das war das eigentliche unglück, denn in den park der irrenanstalt wären die autoren ihrem ideengeber selbstverständlich nachgeeilt.

(er2 sammelt sich kurz)

er2: früher habe ich gedacht, dass auch ich der geborene schriftsteller bin. allerdings ist es bei mir so, dass mir nichts einfällt, wenn ich mich wirklich an den computer setze. den schönen edi gibt es nicht mehr. alkohol mag ich keinen.
und es langweilt mich, im theater zu sitzen.
also bin ich schauspieler geworden.

er1: ich verstehe nicht, warum einer schauspieler wird, nur weil er nicht schreiben kann.
ganz im gegenteil. wenn ich an der literatur scheitere, meide ich die schauspielerei automatisch, um mit dieser ganzen welt nichts zu tun zu haben.
wolfgang bauer ist, nachdem man den schönen edi aus dem verkehr gezogen hatte, und ein ende seiner schriftstellerkarriere absehbar war, schispringer geworden. wenn ich mich nicht irre hat er sogar den sogenannten v-stil mitbegründet.

sie: (kommt mit einem plastikbecher zurück)
scheußlich,
dieser kaffee schmeckt nicht wie kaffee.

geht ganz nahe an er1 heran)
der kaffee schmeckt in diesem haus
wie zitronentee.
(sie überlegt)
und drücke ich die taste mit der aufschrift: zitronentee,
kommt ebenfalls zitronentee heraus.
ich habe alles probiert,
niemals kommt kaffee.
ganz gleich, welche taste ich drücke….
scheußlich,
dieser zitronentee.
(zu er1)
(hält ihm den Becher hin)
probier einmal,
ich wollte kaffee
und kriege zitronentee.
wie immer.

(er1 nimmt den becher entgegen)
(kostet)
er1: das ist kaffee.
schlechter kaffee zwar, scheußlicher kaffee.
aber zweifellos kaffee.

(reicht den Becher wieder zurück)

sie: (kostet abermals)
nein, du irrst dich.
das ist zitronentee.
ich erkenne zitronentee, wenn ich ihn trinke.

er1: es ist kaffee, glauben Sie mir.
sehen Sie ihn sich an.
kaffee.
wissen Sie, wie zitronentee aussieht?
das in Ihrem becher ist jedenfalls kaffee.

sie: was hilft es mir, wenn das gebräu wie
kaffee aussieht, aber wie zitronentee schmeckt?
und eines ist sicher:
es schmeckt wie zitronentee.
(nachdenklich)es stimmt nicht, dass die welt die summe ihrer tatsachen ist.
da hat wittgenstein sich geirrt.
die welt ist die summe der interpretation der tatsachen.
also individuell.
für jeden einzelnen menschen ordnet sich ein vollkommenes chaos zu einer einzigartigen wahrnehmung.
einer einzigartigen wahrheit!
denn was hilft es mir, wenn etwas wie zitronentee schmeckt,
von dem Sie behaupten, es sei kaffee,
und Sie vielleicht sogar recht haben damit?

(sie trinkt ihren zitronentee)

er1: (zu er2)
woran denken Sie?

er2: ich habe wieder an mein eigenes begräbnis gedacht.
ich stelle es mir schön vor,
wenn die menschen weinend an meinem grab stehen
und um mich trauern.
regen wäre mir am liebsten.

ich habe immer befürchtet, am fussballplatz zu sterben.

er1: sie haben fussball gespielt?
er2: nein. ich bin fussballfan. das ist viel schlimmer.
ich habe niemals jemanden auf dem fussballfeld sterben sehen, aber reihenweise auf den sitzplätzen neben mir während eines spiels. bei drohenden niederlagen.

er1: das halte ich für übertrieben.

er2: glaub mir, österreich ist keine turniernation, das sieht man an den weltkriegen eins und zwei.
deshalb leben die zuseher in den stadion um ein vielfaches gefährlicher als die spieler.
gelegentlich bricht sich einer ein bein. aber meistens ist es so, dass die spieler ihre dressen zusammenlegen und im kasten verstauen können, weil sie nicht einmal verschwitzt sind. geschweige denn schmutzig oder zerrissen.

sie: fahren wir endlich? ich muss aufs klo.

er2: (schreit sie an)
wir warten auf ulf!

er1: wir nicht! machen Sie endlich den platz frei. bevor die meute im 3. rang durchdreht.

sie: findet ihr nicht auch, dass die stücke heutzutage immer schwachsinniger werden?

er2: ja, aber den menschen ist das egal.

(Vorhang)