Biomedizinisches Institut & Villa Hahnhof, Roseggerweg 48/50 © Jürgen Fuchs, KLZ
Biomedizinisches Institut & Villa Hahnhof, Roseggerweg 48/50 © Jürgen Fuchs, KLZ

Marie Gamillscheg: Biomedizinisches Institut & Villa Hahnhof

in Fünfzehn Jahre Literaturhaus Graz

Sie bemühte sich, einen Rhythmus zu finden, der ähnlich dem des Spazierenden vor ihr war, der ein anderes Ziel und eine andere Absicht ihres Spaziergangs vortäuschen könnte. Sie versuchte, alles normal zu tun. Vor dem unteren Haus, einem grauen Betonbau, stehenbleiben. Das Schild Biomedizinisches Institut lesen, dabei vorrangig an die Verbindung von Bio und Medizin denken. Das kühle Metall der Türen berühren, wieder loslassen, das Blau der Fensterrahmen betrachtend. So stelle ich es mir vor. In diesen Tagen fasste sich meine Mutter ab und zu an den Bauch, als sie um die beiden Häuser ging. Sie dachte über normal und gesund nach, darüber, dass sie sich danach entscheiden würde, dass sie dann eine Entscheidung zu fällen hätte, oder, dass durch sie eine Entscheidung zu fällen sei, frei und vorurteilslos, so taten sie alle, es war heiß und sie schwitzte in ihren Stiefeletten, sie wollte den steilen Waldweg hinauf nicht verknöcheln.

Eine Freundin sagte mir: Als sie aus Brasilien herzog, dachte sie, der Hilmteich sei Graz und Österreich alles rundherum. Roseggerweg 48, das untere Haus, ein grauer Nutzbau, und Roseggerweg 50, die einige Meter weiter oben liegende gelb gemalte Villa, sie also liegen in der Peripherie. Bereits als Kind wunderte ich mich über diese beiden Häuser mitten im Wald, fernab der anderen. Ich stellte mir vor, dass sie bereits vor den Bäumen dagewesen sein mussten. Als würden diese beiden Häuser keine Menschen brauchen, als wären sie nie erbaut worden, sondern hätten sich eines Tages natürlich aus der Landschaft ergeben. Zuerst aufgeworfene Maulwurfhügel im weichen Moosboden, dann das Sprießen des Betons.

Erst später verstand ich, dass diese asphaltierte Straße nicht nur von den Häusern weg, sondern auch wohin führte: hinter den Holzzaun, auf das Gelände der Uniklinik. Auch von diesem Zentrum aus betrachtet liegen die Häuser in der Peripherie. Versorgt werden sie von einem kleinen Bus, ich sah ihn oft vorbeifahren und selten stieg jemand aus. Nie wartete jemand auf diesen Bus. Ich stand an dem kleinen Kreuz an der Straße und war fasziniert von den verschobenen Größenverhältnissen in diesem Gebiet hinter dem Zaun, das sich eine eigene Inselwelt war, mit seinen eigenen kleinen Bussen, kleinen Bäckereien, Küchen, seinem eigenen Straßensystem und Kleidungsstil. Ich stellte mir vor, die Menschen dort würden mit etwas anderem als Geld handeln und eine sterile, dialektlose Sprache sprechen. Sie dachten sich nicht außerhalb des Holzzauns. Deshalb war ich mir sicher, dass am Roseggerweg 48 und 50, dass an diesem Ort der Peripherie Magisches passieren musste. Etwas, dem hier, mitten im Wald, nur ein beschauliches Publikum beiwohnen durfte. Hier war kein Ort für normale Dinge. Ich war auserwählt. So steige ich noch immer hinauf in die Wälder. Bleibe erst beim Kreuz stehen, von wo der Waldweg auf die Asphaltstraße abzweigt, warte auf den Bus, sehe zu, wie niemand ein und aus steigt, grüße die vorbeispazierenden Spaziergänger, höre auf das Rauschen des Waldes, die Vögel, schaue in die Baumwipfel, versuche also zu tun, was normale Spaziergänger tun, hebe auch ein Blatt auf, zerbrösle es in einer Hand. Hier draußen werden die Kategorien verhandelt. Hier an der Peripherie, wo die Sprache an den Rand getrieben wurde. Manchmal bleibe ich vor den Metalltüren des Roseggerwegs 48 stehen und beobachte die Schafe hinter dem Haus, bemerke ihr Wegbleiben einige Tage später.

Beitrag aus: Klaus Kastberger (Hrg): Graz. Mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern an besondere Orte der Stadt (Edition Kleine Zeitung 2018)
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