Schloßberg ©  Jürgen Fuchs, Kleine Zeitung
Schloßberg © Jürgen Fuchs, Kleine Zeitung

Josef Winkler: Fichten am Schloßberg

in Fünfzehn Jahre Literaturhaus Graz

Ich würde ja ganz gerne etwas schreiben, aber ich weiß nicht, was ich schreiben soll zu und über Graz, da ich einerseits in Graz noch nie gelebt habe, tatsächlich selten nach Graz komme und Graz über so und so viele Tage nur kenne durch den steirischen herbst, wo zwei Theaterstücke von mir zur Aufführung gelangten, durch das Forum Stadtpark, wo ich in den letzten Jahrzehnten ein paar Lesungen hatte und natürlich erst recht durch das Literaturhaus in der Elisabethstraße, wo ich regelmäßig zu Vorträgen hinkomme in letzter Zeit. Wenn es das Forum Stadtpark nicht gäbe, den steirischen herbst und erst recht nicht das Literaturhaus in Graz, wäre ich wahrscheinlich nie in meinem Leben nach Graz gekommen. Ich bin immer nur wegen dem Forum Stadtpark, wegen dem steirischen herbst und wegen dem Literaturhaus in der Elisabethstraße, also ausschließlich wegen der Literatur, nach Graz gekommen. Wir Südländer, wenn wir uns fahrlässiger Weise so nennen dürfen, wir fahren nicht gerne in den Norden, sondern lieber noch weiter in den Süden, nach Italien, nach Slowenien und nach Kroatien, also weiter hinunter. Mir haben immer schon die Leute leidgetan, weil sie nicht im Süden oder in der Nähe des Südens leben, denn diese Leute kommen nie von den Fichten weg, weder in Graz, noch in Wien, noch sonst wo in Österreich entkommen sie den verfluchten Fichten und müssen viel, viel weiter fahren oder gar ins Flugzeug steigen, um von den Fichten wegzukommen, während für uns, die wir im Süden leben, der Weg nach Slowenien und nach Italien ein Katzenhechtsprung ist, um den Fichten entkommen zu können. Ich glaube, daß nicht mein Elternhaus, auch nicht mein röm.-kath. Heimatdorf, mein großes Glück und Unglück waren, sondern am ehesten die Fichten, denn jedesmal, wenn ich aus Kroatien komme – wie erst kürzlich mit einem Jutesack voll Granatäpfeln, einem Sack voll gerade erst gepflückter Mandarinen –, Richtung Slowenien fahre, also aus der mediterranen Umgebung komme und ich im Norden von Slowenien die ersten Fichten sehe, beginnt sich auch mein Herz im Auto festzugurten, beginnt langsam, oft ohne, daß ich es merke, mein Kopf auf die Brust hinunterzusinken, sodaß ich also die sich einschleichende Melancholie als Mühlstein herumzutragen beginne und schwerfällig aussteige aus dem Auto, wenn
ich wieder ankomme, wo ich als erstes die Fichten sehe, ja sogar als erstes nach den Fichten Ausschau halte und nur mehr Fichten im Kopf habe, Fichten mein Herz durchstechen, denn irgendeine Fichte ist immer in der Nähe und bei uns, ob in Graz oder in Klagenfurt. Aber ewig wird mir aus meiner Kindheit Graz in Erinnerung bleiben, denn meiner Großmutter väterlicherseits, die Theresia Winkler, geborene Jesenitschnig, wurde jedes Jahr zu ihrem Geburtstag im Radio in der sogenannten „Wunschsendung“ am Sonntagnachmittag ein Lied gewidmet von ihrem Sohn, dem Konditormeister der Konditorei Rabitsch in Klagenfurt, der uns jahrelang zu Weihnachten die Süßigkeiten für den Christbaum schickte: „Grüß mir den Schloßberg, den Stadtpark von Graz, mit den verträumten Platzerln, wo ich mit meinen Schatzerln so verliebt und glücklich war…“

Beitrag aus: Klaus Kastberger (Hrg): Graz. Mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern an besondere Orte der Stadt (Edition Kleine Zeitung 2018)
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