Dieser Zaun hat mir und meinen Schulkameraden damals das Ende der Welt bedeutet. Wenn ich heute manchmal mit dem Auto dort vorbeikomme, wo die Puntigamer Straße von der Murbrücke kommend bei der Casalgasse scharf nach links weitergeht, erinnere ich mich wieder. Ich sehe den Park mit seinen mächtigen Bäumen, in dem meine Schulkameraden und ich, relativ unbehelligt von den Erziehern, nach dem Mittagessen unsere Freizeit verbringen durften, bevor am späteren Nachmittag das begann, was Studierstunde hieß. Aufgaben schreiben, Lernen, Lesen, das alles in absolutem Stillschweigen bis zum Abendessen. Danach noch ein bisschen Abendfreizeit, anschließend Nachtruhe. Das war Mitte der Sechziger Jahre, und als dann die Studentenrevolte begann, gab es auch für uns Erleichterungen. Dem alten Professor, der uns gnadenlos mit dem Sprachbuch des Dr. Stur traktiert hatte, folgte ein jüngerer Deutschlehrer, der mit uns Gedichte von Alois Hergouth und Texte von Peter Handke und H.C. Artmann las. Von da an konnten wir endlich auch die Welt hinter dem Zaun erkunden, weil wir nicht mehr wie zuvor jedes Mal den Erzieher um einen Eintrag auf dem Ausgangsschein fragen mussten, damit der Portier uns beim großen Tor hinausließ. Meistens wollten wir eh nur zum Greißler gehen, den es in der Kadettengasse gab, um uns dort mit Gabelbissen und Wurstsemmeln einzudecken, war doch an manchen Tagen das Zeug, das uns im Speisesaal vorgesetzt wurde, schlicht und einfach ungenießbar. Oder wir wurden zum Friseur in die Liebenauer Hauptstraße geschickt, weil die Haare wieder einmal zu lang waren. Auch das ein Akt der Unterdrückung. Auf dem Weg dorthin kamen wir beim Liebenauer Löwen vorbei, der ein paar Jahre später an einen anderen Standort verlegt wurde. Der Löwe blickte scheinbar in die Ferne, dorthin, wo wir oft auch gerne gewesen wären. Zumindest stellten wir uns das so vor. In Wahrheit war das ein Kriegerdenkmal, das man nach dem ersten Krieg für Absolventen der Kadettenschule, der späteren Bundeserziehungsanstalt, errichtet hatte, die für den Kaiser und das Vaterland elendiglich in Galizien oder an der Isonzofront verreckt waren. Die Bezeichnung Bundeserziehungsanstalt klang damals genauso abschreckend wie heute; einmal, so hat man es uns später erzählt, hätte die Wirtin einer Jugendherberge beinahe einen Herzanfall bekommen, weil sie glaubte, Schüler einer Anstalt für Schwererziehbare kämen auf ihre Wanderwoche dorthin. Die Anstalt für Schwererziehbare war aber in Kaisersebersdorf in Niederösterreich. Immer wenn jemand von uns etwas Gröberes anstellte, lag die Drohung mit dieser Anstalt in der Luft, und half das auch nicht, hieß es, man käme zum Dr. Wurst nach Klagenfurt. Weil wir uns aber davon nicht abschrecken ließen, und weil wir schon etwas älter waren und die Zeiten sich geändert hatten, kletterten wir eines Nachmittags während einer Veranstaltung über den Zaun beim Sportplatz, auf der östlichen Seite des weitläufigen Areals, wo wir in einem Gasthaus, das es dort gab, Bier bestellten und uns mit unseren fünfzehn Jahren groß und erwachsen vorkamen. Geraucht werden wir wohl auch haben, damals allerdings nur Tabak, die Joints kamen erst später. Unser Deutschlehrer war aber inzwischen Erziehungsleiter und verdonnerte uns daraufhin zu zwei Nachmittagen Arbeit im Park, wo wir Äste schneiden und Holz schlichten mussten, was wir als Strafe in Ordnung fanden. Daran muss ich heute immer denken, wenn ich an diesem Zaun vorbeikomme, denn von dort sieht man genau jenen Teil des Parks, den wir bearbeitet haben. Zwei Jahre später bin ich mit Bomben und Granaten, wie mein kriegsversehrter Vater zu sagen pflegte, durchgefallen und ich habe die Schule gewechselt. Den Park habe ich seither nie wieder betreten.
Ferdinand Schmalz: die nachtwürstlerin
und weitet sich die haut, die braun gebrannte, dass eine blase gelb...