Die Corona-Tagebücher, Teil 12 („Ich bin scheugierig.“)

in Die Corona-Tagebücher/Die Corona-Tagebücher. Erste Welle

Eine Auswahl aus den Einträgen von:
Helena Adler, Bettina Balàka, Birgit Birnbacher, Ann Cotten, Nava Ebrahimi, Valerie Fritsch, Monika Helfer, Lucia Leidenfrost, Christian Mähr, Robert Pfaller, Benjamin Quaderer, Julya Rabinowich, Angelika Reitzer, Kathrin Röggla, Thomas Stangl, Michael Stavarič, Daniel Wisser.

[PDF der Gesamtexte]

Thomas Stangl, 25.5.2020
Immer wenn er begann, ein Drama zu schreiben, wurde doch nur eine Einkaufsliste daraus. Er begann, einen Roman zu schreiben, und es entstand eine Einkaufsliste. Er versuchte eine Novelle, und vor ihm lag eine Einkaufsliste. Obst, Bier, Kräutergervais, Orangensaft, Zwiebeln. Er versuchte es mit einem Gedicht und schaute lange auf die kurze Einkaufsliste in seiner Hand, das konnte sicher nicht als Gedicht durchgehen.

Benjamin Quaderer, 26.5.2020
Was für ein schrecklicher Tag.

Daniel Wisser, 26.5.2020
Das Ätzen über Tagebuchliteratur ist nun ebenfalls kollektiv geworden, ein dumpfes Raunzen, in dem jede andere Stimme interessant wird. Zum Beispiel: Ein Freund sagt mir, er lese gerade Tagebücher und Briefwechsel gerne, je uninteressanter sie scheinbar seien, je mehr sie gemieden würden, desto lieber.

Lucia Leidenfrost, 27.5.2020
Bei der Pforte muss ich einen Zettel ausfüllen: Name, Adresse, Telefonnummer, der Grund meines Besuchs, das Datum, mein Ansprechpartner im Haus, ob ich in den zwei Wochen vor meinem SWR-Besuch im Ausland war, jemanden kenne, der Covid-19 hat(te). Es dauert, bis ich mit dem Fragebogen durch bin. Ich gebe den Zettel durch einen Schlitz und zeige dabei fragend auf meinen Mund-Nasen-Schutz mit den Melonen. Eine Maske würde ich nur im Aufzug brauchen, sagt der Pförtner, hustet dreimal kräftig und feucht, bevor er die zweite Tür für mich öffnet. Dann sitze ich im Atrium und warte. Wir fahren mit dem Lift und Masken in den vierten Stock, haben uns nicht die Hand zur Begrüßung gegeben. Die anderen Redakteure und Journalisten bleiben alle auf Abstand. Man grüßt sich von Weitem und bleibt im Sicherheitsabstand, wenn man miteinander doch ein paar Worte wechselt. In einem gut durchlüfteten, großen Konferenzraum wird vor mir ein folienüberzogenes Mikrophon aufgebaut. Um den Konferenztisch stehen nur zehn Stühle, jeweils mit einem Sitzplatz ohne Stuhl zwischen ihnen.

Christian Mähr, 27.5.2020
Große Aufregung über die Maturanten, die bei der Coronamatura weiße Blätter abgegeben haben, weil sie „eh positiv“ sind. Zunächst ist zu fragen, ob nicht jener von jeder Lebenswirklichkeit längst entwöhnte Ministeriumsbewohner die Matura wiederholen sollte, der die strunzdumme Verordnung ausgearbeitet hat, die dann zu erwartbarem Verhalten führte. Zweitens ist positiv zu vermerken, dass hier von den Jugendlichen mathematisch einwandfrei der richtige Mittelwert gebildet wurde. Zwischen 3 und 5 ist dieser 4, stimmt, das ist doch schon etwas, das soll man nicht kleinreden. Ich weiß ja nicht, wie das heute ist, aber vor einem halben Jahrhundert wäre ein Vierer im Maturazeugnis ein Studierhemmnis gewesen, weil es kein Stipendium gegeben hätte.

Daniel Wisser, 27.5.2020
Die Suche nach dem langweiligsten Tagebuch der Welt erscheint anfangs unmöglich. Schnell aber wird einem klar: Es ist das eigene!

Benjamin Quaderer, 28.5.2020
Drei Menschen umarmt.

Birgit Birnbacher, 29.5.2020
wir fahren ins mühlviertel. drei tage urlaub. wenn ich vom nabokovlesen aufschaue, höre ich die mühlviertler reden, wie ein einziger attwenger text. alle gehen in den wald hinauf und sagen, wie still der wald ist. es fängt an zu regnen und alle hasten hinunter. ganz oben finden wir die sternwarte. wir gehen hinein und die steile wendeltreppe hinauf. es ist sehr hoch und sehr steil. Niemand will mehr einen anderen passieren. niemand will sich mehr festhalten und so wankt jeder für sich, ohne die sicherheit vom geländer, hilflos schlenkernde arme höchstens ineinander verschränkt, torkelt jeder für sich allein.

Thomas Stangl, 29.5.2020
Abends, beim Online-Standardlesen das Aufschrecken. Und nach allen Gedanken und Erinnerungsfetzen, die ich nicht aufschreibe, noch der Gedanke, dass Graz jetzt eine andere Stadt ist. Dieses kleine Gravitationszentrum in der Sackstraße; das Vormittags-Gravitationszentrum, wo ich meist nach Lesungen übernächtigt und nicht recht artikulationsfähig für einen kleinen Kurzbesuch hingetrieben bin, dann immer auch jemand anderer unerwartet aufgetaucht ist, Fragen nach diesem und jenem jungen Autor, von dem ich zu meiner Beschämung noch nie gehört habe, das Bild, das Hans Eichhorn geschickt hat und das neue Cover sein wird usw., nach ein oder zwei Stunden der Aufbruch zum Bahnhof, mit der unsicheren Sicherheit, in ein oder zwei Jahren wieder hier vorbeizuschauen … Herumreden um ein leergewordenes Zentrum.

Robert Pfaller, 30.5.2020
Eine Veränderung in meinem Leben aus der Zeit der Corona-Isolierung fällt mir auf, die ich mir schwer erklären kann. Ich habe meinen Essensrhythmus geändert. Statt dreimal am Tag habe ich begonnen, nur noch zweimal zu essen. Statt Essen – Arbeit – Essen – Arbeit – Essen – Arbeit/Freizeit heißt es jetzt bei mir Arbeit – Essen – Arbeit – Essen – Arbeit/Freizeit. Vielleicht weil es leichter ist, nur zwei Mahlzeiten zu organisieren. Oder weil verbindliche Termine um diese Essenszeiten jetzt kaum möglich sind. Es ist ein neuer, ähnlicher Essensrhythmus wie an jenen Feiertagen, an denen man zu einem Brunch geht und dann gegen Abend nochmals isst.
Immanuel Kant übrigens hat abgesehen von einem Tee um fünf Uhr morgens nur einmal am Tag gegessen, und zwar immer mit 3 bis 9 Gästen um 13 Uhr. Danach hat er nicht mehr gearbeitet. So kann man es auch machen. Ich selbst aber, glaube ich, könnte es nicht.

Benjamin Quaderer, 30.5.2020
Und dann stehen wir plötzlich vor einem Schild, auf dem steht: Institut für Virologie, und genau so sieht das zugehörige Gebäude auch aus. Es ist ein brutalistischer Bau ganz aus Sichtbeton, der von der Mittagssonne beschienen in den unterschiedlichsten Grautönen leuchtet. Vom Dach weg geht eine Art Türmchen, das an die Pfeife einer Orgel erinnert, darin sind zwei Kerben eingelassen, wie riesige Schießscharten. Zweifellos: das ist ein Gebäude, aus dem geschossen werden könnte. Vor dem Eingang parkt ein einziges Auto. Wir wagen uns etwas näher heran, radeln durchs Tor und drehen dann eine Runde auf dem Gelände, bis wir die Hinterseite des brutalistischen Klotzes erreichen. Vor einem Lüftungsschacht liegen Kleidungsstücke. Bevor ich den Gedanken, was mit deren Besitzerinnen und Besitzern wohl geschehen sein mag, zu Ende denken kann, hören wir eine Männerstimme rufen, dass das hier Privatgelände sei. Als ich mich umdrehe, stelle ich schockiert fest, dass der Mann lächelt. Freundlichkeit hätte ich an diesem Ort nicht erwartet.

Kathrin Röggla, 30. und 31.5.2020
Es ist das Bild vom Berliner Ensemble, das hängenbleibt. Das Bild von der Fehlbestuhlung im Zuschauersaal, so könnte man es nennen, das Bild von den fehlenden Sitzreihen, dem zerstückelten Zuschauerzusammenhang. Es sieht aus wie ein Kunstwerk. Es erzählt von in Abstandsregeln entnommenen Stuhlreihen, die das in Abstandsregeln verbleibende Klatschen erwarten, in Abstandsregeln verbleibende Inszenierungen bejubeln, die in Abstandsregeln bleibendes Denken nach sich ziehen. Mit Reifröcken wird gespielt werden, in abstrakten Kistenkostümen werden SchauspielerInnen eingesperrt, auf der Bühne ein Entfernungsballett. Die Kussszenen, so spekuliert der Münchner Volkstheaterintendant Christian Stückl in Theater der Zeit, werden dann wie in Indien per Hackbretteinsatz ersetzt. Warum Kussszenen?, frage ich mich, während ich weiterlese: Wenigstens 100 Leute gemeinsam in einem Raum, heißt es. Wenigstens ein bisschen Theater. Das Bild vom BE sieht mich so fremd an. Es ist nicht ausbuchstabiert. Es fehlt etwas, bleibt ein Rätsel.  So sind wir also Astronauten geworden.

Bettina Balàka, 31.5.2020
Zu den Freuden der vergangenen Wochen gehörte es, dass ich meiner Dach-Moschusschildkröte mehr Freiheit schenken konnte. („Die“ Freiheit schenken konnte ich ihr nicht, denn sie ist bei uns nicht heimisch und eine Reise ins Mississippi-Delta mit Schildkröte im Gepäck eher schwierig.) Fussi lebt nun auf dem Schildkrötengnadenhof Seebarn am Wagram des Vereins RespekTurtle in einem wunderschönen Teich mit anderen Moschusschildkröten. Nie wieder wird sie an eine Glasscheibe schwimmen. Sie kann den Wind und die Sonne spüren und ihre Eier in Erdreich legen, das tiefer als fünfzehn Zentimeter ist.  Meine Tochter bekam Fussi vor elf Jahren geschenkt und ich dachte, nun gut, so ein interessantes Tier ist für ein Kind toll zu beobachten und eine Dach-Moschusschildkröte wird ja nicht allzu groß. Am Ende hatten wir ein Aquaterrarium, das nur mit drei Mann und Spezialequipment in die Wohnung zu bringen war, und Fussi dabei zuzusehen, wie sie im Geviert ihrer Scheiben paddelte, war unerträglich.

Ann Cotten, 31.5.2020
Es wird so viel geredet, über die anderen. Diese Leute, die glauben, alles wird besser, wenn man, also sie selbst und eine Armee von Gleichgesinnten, es selbst anpackt. Mir fehlt schon lange dazu…das Selbstvertrauen? Die Ignoranz? Ich kann die Sachen nur als komplexe Systeme sehen. Das führt zum Beispiel dazu, dass ich zu wenig Interesse an der Optimierung meines eigenen Lebens habe. Und das sieht man. Im Kapitalismus sollte man sich tendenziell das Beste herausholen. Mich macht es hingegen auf eine verwehte Weise glücklich, wenn sich angeschwemmte, von anderen weggeworfene Reste glücklich fügen. Als spürte ich bei neuen Produkten wie ein Feinstaubsediment in der Lunge die unsichtbare Belastung, die Selektion, die Unverhältnismäßigkeit der Exzellenz. Anders betrachtet: Es sind nicht die Dinge selbst, die ich wahrnehme und die mir Freude bereiten könnten, vielmehr die Zufälle, die Verlängerungen ihrer Linien.

Christian Mähr, 31.5.2020
Pfingsten. Beendet das Frühjahr. Aussicht auf eine Lesung in Feldkirch am 10. Juni. In einem Kellertheater. Ja, richtig vermutet: niedrige Decke, hundert Leute, stehende Luft. Da die Coronatagebücher ja noch länger fortgeführt werden, erfahrt ihr sicher, wie es ausgegangen ist …

Daniel Wisser, 31.5.2020
Dass wir angesichts der Bilder von Gewalt noch sprachlos sein können, schockiert uns selbst. Wir können es. Wir sehen, wie Menschen andere wehrlose Menschen aufgrund ihrer Hauptfarbe quälen, verletzen, töten. Seitens der US-Regierung gibt es keine Deeskalation. Im Gegenteil. Präsidenten am Ende ihrer Amtszeit haben immer wieder leichtsinnig Konflikte und Kriege begonnen, um im Wahlkampf besser dazustehen. Diesmal aber ist es ein Bürgerkrieg. Hat es etwas mit Covid zu tun? Ja, das hat es.

Helena Adler, 1.6.2020
Nur die Eingeweihten wissen, dass ich ein zweites Coronatagebuch führe, das „Echtes Rohmaterial“ heißt, aus dem ich manchmal kurz vor Schluss schöpfe.

Monika Helfer, Letzte Maiwoche
Gestern, Sonntag, hörte ich, was ich immer höre, SRF 2 Kultur, 52 Beste Bücher, diesmal über Melitta Breznik. Ich will Sie persönlich ansprechen. Liebe Melitta, weil mir Ihre Art über das Sterben zu reden, so nahe gegangen ist. Jeden Tag denke ich noch an dieses Gespräch. Ich bin von ihrem Werk „Chronik eines Abschieds“ beeindruckt.

Nava Ebrahimi, 1.6.2020
Lucia, deinen Eintrag vom 22.5. mag ich. Ich empfinde es auch so. Ich glaube, ich kann nur über die Spalten schreiben, wenn ich das aus der Sicht erfundener Charaktere tue. Oder vermutlich ist es so: Ich erfinde Charaktere, um über die Spalten schreiben zu können.
Die Frage ist, was die Beschreibung des Schnees auf den Spalten Leser*innen bringt, bringen kann, soll, darf, muss? Ich halte es mit Thomas Stangl vom 26.4.: „Es geht nicht darum, irgendetwas Originelles zu denken (darum bemühen sich Legionen von Leuten in allen Medien), sondern darum, Symptom zu werden, Symptom dieser Zeit.“ (Danke dafür übrigens, hat mir einige Male echt geholfen).

Valerie Fritsch, 1.6.2020
Die inneren Uhren sind durcheinandergekommen im Wartezimmer der Welt. Undramatisch, unmerklich, ohne Glockenschläge. Man zählt nicht die Tage, es scheint mehr, als zählten die Tage einen. Aus der Unruhe speist sich die seltsame Erwartung, dass alles ein bisschen anders wird, eine Ungewissheit der kleinen Veränderungen. Während man das Virus schon wieder übersieht, übersieht man auf den ersten Blick auch seine Folgen, dabei wachsen die Konsequenzen einem Rhizom gleich über das Land, in die Häuser und Geschäfte hinein, bleiben als Sorge hinter den geschlossenen Türen. Nur die Kriegsgewinnler jubeln. Alle flüstern von der Normalität, als wäre sie ein Schlüssel, der in jedem Leben sperrt.

Monika Helfer, Letzte Maiwoche
Mein Kopf ist eine einzige Müllhalde. Morgen gleich geh ich mit meinen Geistern los, um aufzuräumen. Wörter von Unwörtern trennen. Adjektive zertrümmern, wenn sie nur geschwätzig sind. Ein schwarzer Müllsack voll mit angefangenen Sätzen, falsche Fährten, viel zu geckig … Übrigens, wie ich finde, einmal auch bei meinem heiligen Beckett: „Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.“

Julya Rabinowich, ohne Datum
Die Menschen sitzen in den Schanigärten. Manche mit gierigen, fordernden Gesichtern – so lange davon abgehalten worden, eine sehnsuchtsgeladene Folter! Andere mit scheuen Bewegungen – ist es jetzt wirklich ungefährlich, ja? Darf ich mir diese Annäherung an Genuss und Gesellschaft denn wirklich schon erlauben? Ich changiere irgendwo zwischen diesen beiden Polen, ich bin scheugierig.

Angelika Reitzer, 1.6.2020
„Ich habe keine Angst!“, sagt der Mann, der uns vom Bus abholt, als ich ihn frage, ob ich in seinem Kleintransporter die Maske aufsetzen soll, und: „Jetzt hat das Theater lange genug gedauert.“ Und der Mann an der Rezeption weist darauf hin, dass, „wo kein Kläger, da kein Richter“, sei und wir (damit meint er sich, aber auch uns, seine Gäste) es doch so halten mögen, wie „unser Herr Bundeskanzler: Eigenverantwortung!“ Somit sind die grundsätzlichen Regeln für das Wochenende eigentlich klar.

Helena Adler, 1.6.2020
Ich träume von einer Doppellesung mit Herta Müller, die wir in einer gotischen Kathedrale abhalten, die mich an den Veitsdom erinnert. Sie steht schon gestylt und lesebereit vor dem Altar, flankiert vom Publikum, das wie ein Engelschor bis zur Apsis hin reicht. Riesige Glasfenster spiegeln ihren Rücken, so dass es aussieht, als würde er gleich in Tiefsee stechen. Die Stimmung ist sakral, schwankt irgendwo zwischen Metaphysik, Hexenküche und Schlingensief. Blaugraue Nebelschwaden osten sich. Die Orgel orgelt ohne Organist, nur Böhmische Könige räuspern sich. Beim ersten Schlag der Kirchenglocke setzt sich Müller die Wenzelskrone auf und predigt aus ihrer Atembibel. Auch ich will mich zur Infantin krönen, doch mein Text ist neben ihrem verschwunden. Ungeduldig werdend blicke ich in die Runde, da reicht mir jemand sein Leseexemplar. Ich schlage es auf und verliere die Hoffnung. Zunächst ist es eine fremde, alte Schrift, dann eine andere Sprache und schließlich lässt sich kein einziger verschwommener Buchstabe mehr entziffern. Vielleicht habe ich mich durch die viele lesenslose Zeit in eine Analphabetin rückentwickelt, eine andere Erklärung finde ich nicht. Ich überlege zu improvisieren, frei erfinden ist besser als schweigen. Kann man die eigene Muttersprache verlernen, frage ich mich noch, als ich verlegen beim Haupteingang hinauslaufe. Doch als ich mich umdrehe, hat sich der Sakralbau bereits aufgelöst. Zerfetzte Zikaden liegen auf einem staubigen Weg, der da jetzt stattdessen vor mir liegt, links und rechts Pinien und Zypressen. Es stinkt nach meinem eigenen Begräbnis. Der Duft von Notdurft und Thujen alterniert in meinen Nasenlöchern, süßlich, schwulstig, penetrant.

Michael Stavarič, 2.6.2020
Österreichischen Kunstschaffenden (die nach wie vor massiv unter dem gesetzlichen Lockdown leiden) soll adäquater geholfen werden; die neue Kunststaatssekretärin macht Druck, und fast scheint es, als ob sie dafür (im Unterschied zu ihrer zurückgetretenen Vorgängerin) Gehör beim türkisen Koalitionspartner findet. Ab Juli (der Gesetzesantrag liegt dem Parlament vor) können die bei der Sozialversicherung gemeldeten Künstler mit einem Zuschuss von 1000 EUR pro Monat rechnen (bis zu sechs Monate lang). Ich weiß, es wird nicht der Fall sein, doch wäre das generell ein erster Schritt für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Österreich (und ich möchte dieses für alle Berufssparten!!), das doch endlich Erleichterung brächte (auch in Anbetracht der wirtschaftlichen Zukunftsprognosen). Der Aufschrei in der Bevölkerung ist jedenfalls enorm – 90 Millionen EUR werden demnächst also im Konkreten aus dem Fenster geworfen, so der Grundtenor. Ich habe mir im Standard (österreichisches Qualitätsmedium) lediglich bei einem (!) diesbezüglichen Artikel einen Bruchteil der abgegebenen Postings zu Gemüte geführt.

Die Corona-Tagebücher. Ein Projekt des Literaturhauses Graz

Konzept: Klaus Kastberger. Redaktion: Agnes Altziebler, Elisabeth Loibner.
© Bei den Autorinnen und Autoren. Nachdrucke nur nach deren schriftlicher Genehmigung und mit dem Hinweis: Der Text ist Teil des Projekts „Die Corona-Tagebücher“ des Literaturhauses Graz.

Weitere Infos: agnes.altziebler@uni-graz.at, Tel. (derzeit): 0664/8565146