Die Corona-Tagebücher, Teil 10 („Alles ist wieder halb normal.“)

in Die Corona-Tagebücher/Die Corona-Tagebücher. Erste Welle

Eine Auswahl aus den Einträgen von:
Helena Adler, Bettina Balàka, Birgit Birnbacher, Melitta Breznik, Ann Cotten, Nava Ebrahimi, Valerie Fritsch, Monika Helfer, Lucia Leidenfrost, Christian Mähr, Robert Pfaller,  Benjamin Quaderer, Julya Rabinowich, Angelika Reitzer, Kathrin Röggla, Thomas Stangl, Michael Stavarič, Daniel Wisser.

[PDF der Gesamtexte]

Thomas Stangl, 11.5.2020
Alles ist wieder halb normal. Die ersten halben Begegnungen und Treffen liegen hinter uns, die ersten halben Reisen vor uns, manche Grenzen sind halb durchlässig. Die Kinder besuchen halb die Schule. Mit halben Gesichtern gehen wir einkaufen. Die Nachrichten lesen sich halb so wie immer. Halb glauben wir an die Zukunft. Halb werden wir die Ruhe vermissen. Wenn ich arbeite, ist das aber eigentlich immer nur halb Arbeit und halb etwas völlig anderes. Und wenn ich lebe, ist es, genau genommen, auch nur halb Leben und halb etwas völlig anderes. Was heißt das? (Wahrscheinlich nichts.)

Ann Cotten, 11.5.2020
Holy Shit! Die Bullen haben tief in den Joghurttopf gegriffen. Fürs angebliche Überfahren der Ampel der baustellenabgesperrten Straße vorletzte Woche gibts 140 Euro, zusätzlich 100 für „Herumschreien“. Ich habe nur gesagt, dass es lächerlich ist, und fassungslos um mich gestarrt, und es nicht gleich hinnehmen wollen. „Das gibts ja nicht“, gerufen, Ludwig Hirsch im Ohr. Alles in Zimmerlautstärke. Um finanziell nicht ins Minus zu geraten, musste die Sache hier also leider nochmal aufgerollt werden. Und obwohl ich mich dagegen gesperrt habe, wäre es auch wieder beschönigend, mein Erlebnis nicht spekulativ auf die Allgemeinheit hochzurechnen. Die Sache gibt mir ein äußerst ungutes Bauchgefühl. Ich erinnere mich, warum sie zu zweit Streife fahren, sie sind ihre eigenen Zeugen und können mir alles anhängen, was sie wollen, und tun es offenbar auch. Zeigen es so richtig, der renitenten Präkariatsfotze auf ihrem hellblauen, klapprigen Rennrad […]. Wahrscheinlich haben sie noch was im Ärmel, falls ich Einspruch erhebe. Ich tus trotzdem. Bin zu 99% sicher, dass ich das auch noch bereuen werde.

Robert Pfaller, 11.5.2020
Coronapartys. Seltsam, dass sich die Leute darüber wundern, wenn junge Leute so etwas machen. Man hätte aus der Kulturwissenschaft lernen können: In Momenten des Übergangs gibt es immer Übergangsriten (rites de passage, nach der Formulierung von Arnold van Gennep). Wenn man also den Leuten eine Fastenzeit ankündigt, dann braucht man nicht erstaunt zu sein, wenn sie vorher (oder auch nachher) einen Karneval veranstalten.

Daniel Wisser, 12.5.2020
Recht werden die gehabt haben, die die Zeit der Pandemie nicht als Ausnahmezustand, sondern die Gegenwart einfach als Gegenwart begreifen. Und noch dazu haben sie von Anfang an verstanden, dass eine Pandemie nicht von einer Schlagzeile oder Pressekonferenz beendet wird. Was machen diese Weisen jetzt allerdings mit ihrem Recht und ihrer Weisheit?

Daniel Wisser, 13.5.2020
Mir hat einmal ein Politiker gesagt: Das Kultur-Ressort zu bekommen bedeutet, aus der tatsächlichen Politik weggelobt zu werden. Als Schriftsteller weiß man also, wie Kulturpolitiker sich fühlen. Gerne würde ich einmal zu einem Kulturpolitiker sagen: Tja, Sie sind ja wirklich sehr begabt, aber das ist es eben nicht, worauf es in dieser Welt ankommt.

Melitta Breznik, 13.5.2020
Die Psychotherapiegespräche, teils mit Masken, teils hinter Plexiglasscheiben, wirken utopisch und doch werden wir uns daran gewöhnen. Die allgemeine emotionale Distanznahme durch Vermeidung von Nähe verändert unsere Gesellschaft. Das Miteinander hat sich „noch“ nicht eingespielt, die Höflichkeitsrituale und Floskeln im körperlichen Ausdruck sind noch unvollkommen, unausgegoren, wirken hilflos, werden oft zu früh abgebrochen, weil man sich ihrer noch nicht sicher ist. Eine kleine Verbeugung, ein „Namaste“, braucht mehr Zeit, um zu wirken, um beim Gegenüber anzukommen und eine innere Befriedigung des „Wahrgenommenwordenseins“ auszulösen. Dieses Aushalten der Längen wird gerade wieder vom allgemeinen Aufbruch gestört, man hat keine Zeit mehr, muss wieder seinen Geschäften nachgehen.

Thomas Stangl, 15.5.2020
In Japan, lese ich, ist ein Wort entstanden: Selbstbeschränkungspolizei. Selbsternannte Selbstbeschränkungspolizisten sind unterwegs, kleben Zettel mit der Aufschrift Mörder auf mutmaßlich geöffnete Lokale und fahnden nach Autos mit Nummerntafeln aus anderen Regionen. Etwas Beunruhigendes geschieht hier mit den Wörtern „selbst“ und „Polizei“, sie dehnen sich aus und schieben sich auf bösartige Weise ineinander.

Lucia Leidenfrost, 15.5.2020
Das Handy am Ohr, den Löffel halb zum Mund geführt, die Fenster offen horche ich, was mein Anrufer mir berichtet: Sie würden nun die Auflagen von Stadt und Land kennen und möchten mich deshalb im Juli zu einer Lesung vor Ort einladen. Ich suche einen Zettel und einen Stift und notiere mir das Datum. Ob ich da könnte, wollen sie wissen. „Ja“, antworte ich und: „Stuttgart ist ideal.“ Nach dem Auflegen stelle ich mir das Publikum in Masken mit einem Abstand von zwei Stühlen zwischen ihnen vor, ich höre sie hüsteln und räuspern, sehe die Blicke über den Nasenschutz. Ich beschließe, dass ich mir noch so einen durchsichtigen Schutz besorgen werde, damit man meine Mimik sieht. Ich spüre es: Eine Normalität kommt zurück, eine andere, aber normaler als jetzt.

Christian Mähr, 16.5.2020
Heute sind wir ungeplant essen gegangen, weil uns die ewige Kocherei auf die Nerven geht. Restaurant „Piazza“ im Messepark in Dornbirn. Weitläufig, Abstand zwischen den Tischen kein Problem. Das Lokal war nicht die erste Wahl, wir wollten uns eigentlich nur eine Pizza holen, aber es war kurz nach zwei, zwei angerufene Pizzerien schon zu, erst wieder auf um halb sechs. Ja, so ist das in Dornbirn. Rettungsanker ist für viele Dornbirner das Einkaufszentrum Messepark. Gegessen wurden gebackene Hühnerteile mit Pommes frites und ein Schweinsschnitzel. Mit Pommes frites. Mir fällt eben auf, dass es die Gerichte sind, deren Zubereitung zu Hause mit unverhältnismäßigem Aufwand begleitet wäre; Panierorgie mit Inbetriebnahme der Fritteuse. – Das Essen war gut, den fehlenden Salzstreuer habe ich nicht vermisst. Das Personal erstaunlich gut gelaunt nach Rückkehr zu einer nervenaufreibenden Arbeit. Der Kellner lobt das geringe Gewicht des Plastikvisiers, es sei allerdings das teuerste Modell gewesen. Letzten Eintrag durchgelesen. Schlechte Laune scheint bei mir eher wetterbedingt, nicht coronabedingt zu sein. Inzwischen Lunacek-Rücktritt – es wäre mühsam, dazu etwas zu schreiben, ich habe den Raum schon mit Absinth und Schweinsschnitzel gefüllt und bin mir selber dankbar!

Robert Pfaller, 16.5.2020
Man wird ja noch träumen dürfen, die Zweite. Die vielen Toten in Italien sind nicht nur Opfer des Virus, sondern vor allem auch des geschädigten Gesundheitssystems. Nach der Finanzkrise hatte die Europäische Zentralbank Italien offenbar ausdrücklich gezwungen, Einsparungen im Gesundheitssektor vorzunehmen. Hier beginnt mein Traum: Die Leute, die das veranlasst haben, werden kriminalpolizeilich ausgeforscht und vor ein Friedensverbrecher-Tribunal gestellt.

Benjamin Quaderer, 16.5.2020
Meine Mutter erzählt, nach seinem Besuch im Kleinwalsertal habe sich Sebastian Kurz mit dem Liechtensteiner Regierungschef getroffen, zu einem Arbeitsgespräch, an der österreichisch-liechtensteinischen Grenze. Ich stelle mir zwei Männer vor, die sich mitsamt ihrer Delegationen gegenüberstehen wie zwei Fußballmannschaften, beide in den eigenen Hälften, 1,5 Meter Sicherheitsabstand, je ein Grenzbeamter als Torwart, möglicherweise Mundschutz, und zwischen ihnen die Grenze, über die hinweg sie ihre Probleme besprechen. Ein Geisterspiel.

Valerie Fritsch, 17.5.2020
Ein Gedanke, der nicht in die falschen Hände geraten darf: es wird Sommer, alles andere ist egal. Das Herz ist ein Zugvogel, geeicht auf Süden. Es kann losgehen.

Kathrin Röggla, 17.5.2020
Wir werden es gewusst haben. Im Nachhinein hat man immer alles gewusst. Man war aber zeitgleich mit Nichtwissen beschäftigt, das viel detaillierter ausgebaut wurde. Das in die Breite ging. Das Wissen ging eben nur nach vorne. So geht es nicht mehr weiter. Und wenn man es im Nachhinein gewusst haben wird, dann wird der politische Kampf danach umso bitterer. Wir beeilen uns deswegen natürlich heute schon zu sagen, was man alles gewusst haben wird, wir zählen es bereits jetzt schon auf. Aber es hilft uns nichts. Wir werden es nachher auch gleichzeitig nicht gewusst haben. In diesem Irrsinn steckt nicht nur der Umgang mit Covid19, sondern unser Umgang mit Klimawandel, Artenschutz und Ressourcenvernichtung. Mit sozialer Spaltung und Gerechtigkeitslücken (woher kommt denn dieses absurde Wort auf einmal? Gerechtigkeitslücken! Als gäbe es sowas) – Dieser Irrsinn muss aufhören, titelt Milo Rau, aber ob er damit etwas ganz anderes meint, kann ich nicht eruieren, ich komme nicht zum Nachlesen, denn ich bin mitten in Aufbruchsbemühungen. Es geht zurück in die Stadt.

Bettina Balàka, 17.5.2020
Bis vor kurzem sollte man nicht zimperlich sein. War man verkühlt, sagte man im Rahmen eines Begrüßungsrituales vielleicht zunächst: Nicht küssen, ich bin krank! Spätestens bei der dritten Person aber machte man es doch, weil man sich blöd vorkam, asozial. Und war es nicht affig, ein ungutes Gefühl zu haben, wenn der Gastgeber das Salatbesteck abschleckte oder wenn man ein Stück Torte essen sollte, auf die das Geburtstagskind beim Kerzenausblasen gerade Spucke versprüht hatte? Das Arbeiten bei Krankheit allerdings wurde in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt. In ihre Plastikhandschuhe hüstelnde Feinkostmitarbeiter oder sich während der Mundhygiene permanent schnäuzende Zahnarzthelferinnen kamen beim Kunden nicht immer gut an. Bei etlichen Betrieben setzte sich die Erkenntnis durch, dass es vielleicht besser – und billiger – ist, wenn ein Infizierter zu Hause bleibt, als wenn er am Ende das ganze Großraumbüro ansteckt. Anders sieht es bei prekären Beschäftigungsverhältnissen aus. Der aktuelle große Coronavirus-Cluster in Wien hängt mit Leiharbeitsfirmen zusammen. Die Arbeiter können es sich nicht leisten, sich krank zu melden, denn dann bekommen sie kein Geld.

Birgit Birnbacher, 17.5.2020
wir haben das ganze wochenende sozialkontakt. ich habe gar nicht gewusst, dass wir so viele freunde haben und genieße wirklich die anwesenheit vieler und das gerede und das lachen und das kindergeschrei und die langen stunden, die vorbeiziehen, und den dreck an den füßen der kinder und der erwachsenen. jetzt sind also die eisheiligen vorbei und alle sind barfuß und reden vom sommer. vom urlaub in österreich. alle haben unter den tischen unruhige füße, schauen in gesprächspausen tief schnaufend auf die oberflächen ihrer gartentrampolins und sagen, dass es mit ein paar tagen hier und ein paar tagen dort schon zu machen sein wird.

Helena Adler, 18.5.2020
Würde ich nicht jeden Montag den Text fürs Literaturhaus schreiben, ich hätte C. schon fast vergessen. Jetzt fühle ich mich in Schulzeiten rückversetzt. Den Sonntagnachmittag verbringe ich schon fast depressiv im Bewusstsein darüber, dass das zeitliche Grauen naht. Dabei bin ich jemand, der sich grundsätzlich nicht an formale Vorschriften hält oder im Kollektiv auftritt. So wie es Julya Rabinowich missfällt, ihre eigenen Texte zu datieren, missfällt es auch mir. Und zwar massiv. Allerdings würde ich es begrüßen, wenn jemand aus der Gruppe endlich einmal richtig durchdreht und über die eigenen Zwangsneurosen schreibt. Oder darüber, welche Tabletten man nimmt. Ich wäre vermutlich ein bisschen mehr sensationsgeil und leselustig, wenn jemand seine eigenen Abgründe in Worte fasst. Es soll dabei keinesfalls eine goldene Fassung sein, sondern mehr Rost. Wenn jemand darüber schreibt, wessen Texte man liest und welche nicht. Wessen Worte die eigenen Nerven überstrapazieren und wessen Geschriebenes beflügeln. Vielleicht kommt Bewegung ins Spiel, wenn die Papierfetzen fliegen. Mein Mann liest diese ersten paar Zeilen und sagt „jetzt bist du im Elfenbeinturm angelangt“ und, dass ich mich aufführe wie Sissi bei ihrer Morgentoilette, während draußen die Ungarn murren.

Nava Ebrahimi, 18.5.2020
Mein Beruf existiert nur in den Momenten, in denen ich schreibe. Seit Beginn des Lockdowns habe ich, bis auf die Corona-Tagebücher, nichts zustande gebracht. Es ist, als hätte ich keinen Beruf. Es gibt auch kein Gebäude, keine Kollegen, keine Chefin, keine Corporate Identity, noch nicht einmal einen ordentlichen Schreibtisch, in dem sich mein Beruf manifestieren könnte. Während alle Eltern mit systemrelevanten Berufen die Kinder schon vor Wochen wieder in den Kindergarten brachten und dann die Eltern folgten, die arbeiten gehen mussten, überlege ich mir, ob mein jüngerer Sohn mit seiner Anwesenheit, seinem kleinen Körper zusätzlich den Raum füllen und Abstand halten erschweren muss. Wie relevant ist es, dass ich schreibe? Für mich selbst sehr, aber wie relevant ist es für die Gesellschaft? Das ist derzeit das Maß aller Dinge. Kultur als Ganzes ist relevant für die Gesellschaft, natürlich, aber wie relevant bin ich als einzelne Schreibende? Ist diese Frage erlaubt? Oder ist das wie Mikado spielen: Wer sich diese Frage zuerst stellt, hat verloren? Nein, es ist anders. Wenn wir uns vereinzeln lassen, haben wir verloren.

Monika Helfer, 18.5.2020
Es lähmt mich, an Corona zu denken und von Corona zu schreiben. Das wenige, das ich weiß, ist vom vielen Reden verwaschen wie ein altes Shirt, das ich nur mehr zum Putzen verwende.

Angelika Reitzer, 18.5.2020
Sind wir Tagebuch-müde? Sollte jetzt nicht noch ein Höhepunkt kommen, kurz bevor es zu Ende geht, wir wieder hinausdürfen und Lesungen und Buchpräsentationen abhalten, auf die alle gewartet haben? Ich sehe eher keinen, schreibe an einem Konzept, das mir klarmacht: Jetzt, wo wieder Aussicht vorhanden ist, fällt auch das Erinnern leichter.

Michael Stavarič, 18.5.2020
Die neue Corona-Tagebuch-Woche begann diesmal bei mir mit Gedanken zu Verschwörungstheorien Teil II (nach meinem Beitrag Teil I in der Vorwoche), die Präastronautiker sind einfach viel zu putzig. Einer Definition nach ist die Präastronautik (auch Paläo-SETI genannt) ja nichts anderes als eine Zusammenfassung von Theorien, laut denen eine oder mehrere außerirdische Intelligenzen in der Frühzeit der Menschheit die Erde besucht und menschliche Zivilisation beeinflusst bzw. diese erschaffen haben. Dabei werden die in nahezu allen Kulturen vorhandenen Überlieferungen von Begegnungen mit Göttern (und anderen Fabelwesen) als Besuche außerirdischer Lebewesen gedeutet. Eines bleibt dabei unausweichlich: Die Außerirdischen werden eines Tages zurückkehren und ihr „Jüngstes Gericht“ abhalten. Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist somit auch „präastronautisch“ vorprogrammiert.

Daniel Wisser, 18.5.2020
Früher war es ein Skandal, wenn ein Schriftsteller einem Politiker bei einer Preisverleihung nicht die Hand gegeben hat; heute ist es das Einhalten einer Verordnung.

Julya Rabinowich, 19.5.2020
Nach wochenlanger Extremreduktionskost an Begegnung folgt ein Anfall ausufernder Maßlosigkeit. Ich, die ich nur noch eine Person pro Tag gewohnt war, finde mich plötzlich in einem Raum mit ungefähr 50, ich klammere mich an meine eingespeichelte Maske wie an einen Rettungsring, manche der Teilnehmenden tragen die ihren um die Nase rum frei, was an Exhibitionisten erinnert,  mitten im Verstofflichten hängt da ein fleischiges Objekt heraus, das eigentlich verborgen bleiben müsste. Zu Beginn der Pressekonferenz müssen wir die Masken absetzen, ich lege meine auf den Tisch und leide den Rest der Konferenz an der Erkenntnis, dass ich sie nicht mehr aufsetzen werde können, ohne Panik zu schieben. Wir haben unsere keimfreie Unschuld verloren. Alles ist befleckt. Ich nehme also an einer Pressekonferenz teil und übe mit anderen Kunstschaffenden Kritik an der derzeitigen Abwicklung der Coronakrise, eigentlich keine Abwicklung, sondern Erstickung, Entleerung, Beiseiteschiebung, eine Verschlusssache, die weniger an Geheimverhandlungen denn an eine tödliche Magenerkrankung erinnert. Kunst wird nicht verdaut und nicht ausgeschieden, sie liegt der Regierung schwer im Magen, verursacht Blähungen des Staatsapparates, die in ab und an schwallartig hervorbrechender heißer Luft entweichen, ohne große Änderungen der Lage zu bewirken.

Die Corona-Tagebücher. Ein Projekt des Literaturhauses Graz

Konzept: Klaus Kastberger. Redaktion: Agnes Altziebler, Elisabeth Loibner.
© Bei den Autorinnen und Autoren. Nachdrucke nur nach deren schriftlicher Genehmigung und mit dem Hinweis: Der Text ist Teil des Projekts „Die Corona-Tagebücher“ des Literaturhauses Graz.

Weitere Infos: agnes.altziebler@uni-graz.at, Tel. (derzeit): 0664/8565146