Haben Sie jemals von Rule 34 gehört? Diese Regel besagt: Wenn etwas existiert, gibt es Pornografie damit. Ausnahmslos. Die Regel geht zurück auf einen Sechzehnjährigen, der ihm altbekannte Comicfiguren in sexualisierter Form im Internet fand. Irgendwo in den oft gar nicht so zwielichtigen Teilen des Netzes, wo sich die My little Pony Crew auf andere Art gute Nacht sagt, gibt es auch Pornografie zum Thema Holocaust. Der Holocaust existiert, ergo: Es gibt Pornografie darüber. Keine Ausnahmen. Noch vor filmischen Umsetzungen gab es zu diesem Thema Groschenromane und entstanden sind sie in Israel. Diese „Stalag“-Hefte waren in den Sechzigern ein großer Erfolg. Die Handlung war üblicherweise immer die gleiche: Ein alliierter Pilot wird über Deutschland abgeschossen und gerät an vollbusige SS-Aufseherinnen, dann folgt die Beschreibung von SM-Szenen und schließlich ein Racheakt in Form einer Vergewaltigung und die Flucht.
Zwar waren diese Hefte tabuisiert, jedoch waren sie gerade für Jugendliche dieser Zeit zugleich die einzige verfügbare pornografische Lektüre, als auch die einzige über den Holocaust. Sogar im Film Eis am Stiel kommen die Stalag-Hefte vor. Die hebräischen Autoren wählten amerikanische Pseudonyme, um den Eindruck einer Autofiktion zu erwecken. Sogar die englische Satzstruktur soll ins Hebräische übernommen worden sein. Unter dem Titel Pornografie und Holocaust geht eine Dokumentation diesen Heften nach und inwiefern sie auf tatsächlichen sexuellen Übergriffen in Lagern fußen. So ist sich die Gesellschaft Israels immer noch uneinig über die Existenz von Lagerprostituierten, die erstmals in einem Buch von K. Zetnik – eines Holocaustüberlebenden – House of Dolls erwähnt werden.
Die Literatur brach also mit den Tabus der Vergangenheit. Einzig ein Stalag-Heft erschien, in dem die Handlung abweicht: Es ist aus der Sicht eines Offiziers, eines Beamten geschrieben und soll Eichmann zum Vorbild haben. Während des Prozesses um Eichmann wurde die Frage was Pornografie ist in Israel zur öffentlichen Diskussion.
Gerade dieses Subgenre ist auch psychologisch spannungsgeladen, da es im Handlungsablauf Juden zeigt, sie sich rächen wollen. Das Missbrauchsverhältnis wird umgekehrt durch Vergewaltigung als Rache. Das „Ficken der Schickse“. Zugleich wird damit eine zuvor oft als selbstverständlich vorausgesetzte moralische Überlegenheit der Juden in Frage gestellt, aber auch eine Identifikation mit dem Tätervolk aufgebaut. Die Hefte boten also, so überraschend das klingen mag, eine Hilfestellung zur Verarbeitung für mehr als eine Genration.
Eine filmische Fortführung des Genres ist z.B. Ilsa, She Wolf of the SS aus den USA. Der Produzent legte sich hierfür sogar ein deutsch klingendes Pseudonym zu. Er gehört zu den Naziploitationfilmen. Im Internet stolpert man heute relativ leicht über so etwas. Als der Film in den Siebzigern erschien wurde er in vielen Ländern nicht offiziell veröffentlicht.
Auch hier ist die Handlung entsprechend der Stalaghefte und verbunden mit „medizinischen Experimenten“. Ein Film mit geringem Budget, einzig das Make-up überzeugte. Oft ist der Streifen eher unfreiwillig komisch. Für Ilsa gab es auch historische Vorbilder wie Irma Grese und Herta Oberheuser. Die fiktionale Ilsa reicht an Grausamkeit längst an diese Vorlagen heran, jedoch erhebt der Film auch nicht den Anspruch historisch korrekt zu sein. Auch werden die schlimmsten Szenen nicht gezeigt, sondern nur angedeutet. Dennoch legt dieser Film es darauf an zu schocken und dient wohl kaum der sexuellen Stimulation, wie es die Stalaghefte in manchen Szenen noch schafften. Ilsa-Filme sind damit also keine sonderlich gelungene Fortsetzung des Stalag-Genres, da sie sich für Identifikationen weniger eignen als die Vorlagen.
Interessant an Ilsa ist noch, dass sie zu den ersten weiblichen Hauptrollen gehörte, die autoritär und gewalttätig waren. Das bildet einen spannenden Schnitt für die gesamte erotische Filmwirtschaft. Man kann sich während des Filmes kaum vorstellen, dass die Hauptdarstellerin heute ein beschauliches Leben als Pastorin in Las Vegas führt.
Cordula Simon, Schriftstellerin, geb. 1986 in Graz, studierte deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa. Koordinatorin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz und Mitglied der Literaturgruppe „plattform“. Zuletzt veröffentlicht: „Ostrov Mogila. Roman“ (Picus, 2013).