Die hohen, teilweise mit Kunstwerken verzierten Mauern der Justizanstalt Graz-Karlau sind allen Grazer*innen wie Pendler*innen wohlbekannt, liegen sie doch direkt an einer der am stärksten befahrenen Zufahrtsstraßen der Stadt. Doch wer weiß schon, was sich dahinter verbirgt?
Gefängnisse sind zumeist nicht jene Orte welche man mit Literatur assoziiert. Aber gerade die Thematik Freiheitsentzug hat Literaten und Literatur von Weltgeltung hervorgebracht. Wer kennt nicht die Werke von Solschenizyn – Archipel Gulag, Mandela – Der lange Weg zur Freiheit, Henrie Charriere – Papillion, Alexandre Dumas – Der Graf von Monte Christo? Umso erfreulicher, dass die Justizanstalt Graz-Karlau, mit ihrer engagierten, schreibfreudigen Literaturgruppe, einen Beitrag zum Projekt wORTwechsel leisten darf.
Literatur und Bildung enden nicht vor dem Gefängnistor. (Josef Mock, Anstaltsleiter)
Unser Bestreben ist es dieses Tor, die Mauern und das Unwissen im Rahmen des Projekts “wORTwechsel” zu überwinden. Zunächst einander Fremde, nämlich drei Autor*innen und sechs Insassen der Justizanstalt Graz-Karlau, öffnen sich in literarischen Briefwechseln. Der Austausch zwischen Sandra Gugić, Christoph Dolgan und Alfred Goubran und Insassen der Justizanstalt nahm seinen Ausgang Anfang Jänner des letzten Jahres (fern einer Pandemiesituation, wie wir sie heute erleben) beginnend mit einem Brief von „draußen“ an die Insassen, in dem die Autor*innen versuchen, sich selbst sowie die Gründe für eine Teilnahme am Projekt vorzustellen, erste Anhaltspunkte für den Austausch zu finden und natürlich um das große verbindende Thema aufzugreifen: das Schreiben selbst.
Als Kind hatte ich eine Brieffreundin, ich erinnere mich, das war in den 90ern noch ganz groß, ich war sehr stolz und habe mich beim Briefwechsel fast erwachsen gefühlt. Ich durfte jemandem meine Welt erzählen, jemand hat mir seine Welt erzählt. (Sandra Gugić, Autorin)
Den Autor*innen beider Seiten, „innen“ wie „außen“, geht es um einen Austausch, der Interesse am Menschen, auch an gänzlich unbekannten, nicht nur impliziert, sondern dezidiert voraussetzt.
Ein Wunsch dieses Projekts hat sich bereits von selbst aufgetan, nämlich die Freude, das Interesse, wieder mal mit einer Person brieflich kommunizieren zu können, mit einem neuen Menschen, der in der sogenannten Freiheit lebt, nur weil dort draußen wesentlich (oder gefühlt: nur etwas?) selbstbestimmteres Agieren möglich ist. (Karl)
Ich habe dieses Desinteresse stets als Kälte und Unempfindlichkeit empfunden und für das Schreiben, auch das literarische Schreiben, ist es tödlich. Nach meiner Erfahrung geht dem „Schreiben-wollen“ stets ein „Wissen-wollen“ voran. Und sei es nur, dass man wissen will, ob man das kann, was einem irgendwie vorschwebt, ob es gelingt, das, was einem in der Seele brennt, zu artikulieren, ihm eine Form zu geben. (Alfred Goubran, Autor & Musiker)
Schließlich tun sich auch sehr praktische Fragen auf, deren Antwort die vage Vorstellung eines Lebens hinter Gittern ein wenig greifbar macht:
Und dann noch eine saudumme Frage, die ich […] fragen muss: Darf man in den Zellen rauchen? (Christoph Dolgan, Autor)
Anknüpfpunkt für den Briefwechsel war das Projekt “Literarisches Schreiben in der Karlau”, das von den Autor*innen Simone Philipp und Anton Christian Glatz 2013 ins Leben gerufen wurde. Bis heute leiten sie die Schreibworkshops und gehen dafür regelmäßig – zumindest vor der Pandemie – ins Gefängnis.
Bereits seit 8 Jahren arbeiten wir mit einer Gruppe von Insassen der Karlau zu verschiedenen Bereichen der Literatur. Nun ist durch die Kooperation mit dem Projekt wORTwechsel ein neuer Impuls hinzugekommen. Briefe, die die Teilnehmer mit österreichischen Autoren und Autorinnen wechseln, bieten Gelegenheit zu einem tief gehenden persönlichen Austausch. Einmal mehr zeigt sich, dass Literatur allen Menschen zusteht und dass auch an gesellschaftlich entfernteren Orten literarisch aussagekräftige Texte entstehen. (Simone Philipp & Anton Christian Glatz, Leitung Literarisches Schreiben in der Karlau)
Geplant war ein begleiteter Austausch von einigen Briefen, geworden sind daraus mittlerweile Korrespondenzen, die über ein Jahr geführt werden und einen beachtlichen Umfang erreicht haben. Den beiden Workshopleiter*innen war es aufgrund der allgemein bekannten Situation schon viele Monate nicht möglich Workshops mit den Insassen abzuhalten. Was aber geblieben ist, ist das Schreiben: Die Quelle meines Schreibens? Es sind Träume und Tagträume die mich, in meist unbekannte Gefilde, entführen. Das geht blitzartig. (Kurt)
zwischen.zeilen – so der Titel der geplanten Veranstaltung – soll Einblicke in diesen Briefwechsel und den Gedankenaustausch geben, einen subjektiven Blick auf das Leben hinter Gefängnistüren ermöglichen und zeigen, dass Literatur auch hinter Gittern Platz findet. Im Austausch mit dem Leiter der Justizanstalt, Josef Mock und den Workshopleiter*innen Simone Philipp und Anton Christian Glatz entsteht ein Veranstaltungsformat, das literarischen Anspruch vor Voyeurismus in ein vermeintliches Panoptikum und so die Menschen und ihr Schaffen unter besonderen Umständen, in einer besonderen Umgebung ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt.
Ulrike Freitag
Das Projekt wORTwechsel ist eine Veranstaltungsreihe in Kooperation mit ausreißer – Die Grazer Wandzeitung im Rahmen des Kulturjahres 2020.