(39 Bl., 24,5 x 16,5cm, FNI-Grün, o. Sign.)
Im Nachlass des Staatsmanns, Autors und Kulturvermittlers Anton Alexander von Auersperg, der als jungdeutscher Tendenzdichter unter dem Pseudonym Anastasius Grün Berühmtheit erlangte, hat sich auch ein Zeichenbuch aus seiner Schulzeit erhalten. Begonnen während der Herbstvakanz 1821, finden sich im vorderen Teil des fadengebundenen Büchleins in Queroktav – neben einigen Zeichnungen mit Tusche und Bleistift – sechs eingeklebte, datierte Gouachen. Folio 10 zeigt ein am 6. Dezember entstandenes Panorama von Kufstein, mit einer Jungfamilie in Tiroler Tracht bei der Rast am Inn im Vorder- und den mächtigen Bergen im Hintergrund.
Weshalb wählte der fünfzehnjährige Zögling des Klinkowström’schen Erziehungsinstituts gerade dieses Sujet? Von den anderen ausgeführten Arbeiten des Buchs hatten manche zumindest biographischen Bezug, so etwa zwei Ansichten seiner Geburtsstadt Laibach oder eine Katasterkarte der Herrschaft Thurn am Hart (heute: Šrajbarski turn, Slowenien), deren Majoratsherr er de jure nach dem frühen Tod seines Vaters 1818 war. Nach der Natur gemalt ist wohl keines dieser Bilder, schon in Ermangelung einer Gelegenheit, hatte ihm doch sein jugendlicher Freiheitsdrang so manche bewegungshemmende Disziplinierung eingebracht. Im Jahr zuvor etwa musste der junge Auersperg die Ferienzeit im verhassten Wiener Internat verbringen, weil er u.a. – wie ihm sein Stiefvater und Vormund Leopold von Lichtenberg-Janeschitz brieflich vorwirft – „eine für einen Knaben lächerliche Geringschätzung des geistlichen Standes öffentlich an den Tag“ legte; und weiter: „Eine notwendige Folge davon ist, daß du dich nun selbst um alle Hoffnung gebracht hast, Thurn am Hart bald wieder zu sehen“[1]. So musste sich die aufsässige Nummer ‚13‘ (die Schüler erhielten aus egalitaristischen Gründen Zahlen zugeteilt) bei seinen Landschaftsbildern mit Vorlagen behelfen.
Warum aber Kufstein? Sicher, es war (und ist) ein pittoresker Ort, der durch diverse Radierungen und Stiche weithin bekannt war. Es war auch ein geschichtsträchtiger Ort – in seiner ersten epischen Dichtung, dem ‚Romanzenkranz‘ Der letzte Ritter (1829), wird Anastasius Grün einen Abschnitt der Erstürmung der Festung durch Kaiser Maximilian im Jahr 1504 widmen. Zur Zeit der Entstehung der Gouache allerdings war Kufstein im Land vor allem für sein Staatsgefängnis bekannt. Der runde Kaiserturm mit den bis zu 7,5m dicken Wänden beherbergte bevorzugt politische Gefangene, unbequeme, widerspenstige Geister, wie Auersperg selbst einer war. Dass auch er sich eingesperrt fühlte, könnte die subtile Botschaft der Motivwahl gewesen sein.
Der Anstoß, sich künstlerisch zu betätigen, kam wohl vom Direktor des Instituts selbst, einem ehemaligen Maler, der u.a. bei Jacques-Louis David studiert hatte. Der aus Vorpommern stammende Friedrich August von Klinkowström war mit Metternichs Sekretär Joseph Anton von Pilat verschwägert und durch diesen in den Kreis um den später heiliggesprochen Redemptoristen Klemens Maria Hofbauer eingeführt worden, der 1814 auch seine Konversion mit Pilat und Friedrich Schlegel als Zeugen vornahm. Mit ihrer Hilfe eröffnete der stark von der Ro-mantik geprägte Konvertit 1818 seine nach den Grundsätzen der Jesuitenpädagogik geführte Erziehungsanstalt für (v.a. adelige) Knaben, in die Auersperg 1819 eintrat.
Es war nicht die erste Schule, die versuchte, den rebellischen Adelsspross aus Krain zu zähmen. Schon im zarten Alter von sieben Jahren war er ins ferne Wiener Theresianum geschickt worden, doch – so vermerkt Auersperg später in Zur eigenen Lebensgeschichte – die „geistlichen Pädagogen dieser Anstalt erklärten schon nach zwei Jahren mich, damals neunjährigen Buben, für unverbesserlich; warum? Weiß ich noch nicht. So bin ich denn aus ihrer Anstalt ausgetreten – worden und trat in die k.k. Ingenieurakademie“[2]. Dort aber machte ihm der militärische Drill zu schaffen, mit dem man fähige Offiziere für das auf Festungsbau spezialisierte Geniekorps zu formen suchte. Just am Tag der Wiederverheiratung seiner Mutter wurde der junge Graf auch dort entlassen und wechselte an das Privatinstitut, wo ihn nun religiöse Indoktrination erwartete.
Im März 1820 berichtet Klinkowström nicht ohne Stolz an die Mutter des hochbegabten Zöglings: „Seine beiden gefährlichen Eigenschaften, Stolz und Jähzorn zeigen sich immer seltener – seine Verirrungen werden immer kürzer und seine Reue kommt immer schneller“. Allerdings seien diese Fehler derzeit noch „mehr unterdrückt als eigentlich verschwunden“. Seinen Fleiß und Intellekt indes lobt der Direktor über die Maßen; und: „Im Zeichnen und Malen macht er ebenfalls große Fortschritte, und er hat seltene Talente dafür.“[3] Weniger schmeichelhaft fiel vier Jahrzehnte später freilich das Urteil Auerspergs über die Erziehungsmethoden der Anstalt aus: „[D]ie finstere klösterliche Zucht, der überspannte Eifer für Andachts- und Bußübungen und der düster-zelotische Geist des Hausherrn und seiner ab und zu schwärmenden geistlichen Gäste, vorzüglich Liguorianer, widerten mich erklecklich an und geben zu mancher meiner späteren Richtungen die Aufklärung.“[4]
Offensichtlich bändigten diese traumatisierenden schulischen Erfahrungen Auersperg nicht, sondern schürten und kanalisierten vielmehr seinen jugendlichen Widerstandsgeist, der in den Spaziergängen eines Wiener Poeten einen umjubelten Ausdruck fand und radikaldemokratische Autoren wie Ludwig Börne, Ferdinand Freiligrath oder Georg Herwegh, aber auch den jungen Gottfried Keller oder Adalbert Stifter inspirierte.
Hilfestellung für seine intellektuelle Bildung hatte Auersperg jedoch auch schon in Klinkowströms Institut erhalten von einer Seite, die später noch in anderer Weise wichtig werden sollte: Ab 1822 war dort France Prešeren, Sloweniens Nationaldichter, als Präfekt und Geschichtslehrer tätig, um sich seine juridischen Studien zu finanzieren.[5] Er unterrichtete seinen Krainer Landsmann nicht nur privatim in der slowenischen Sprache, sondern eröffnete ihm über seine Privatbibliothek die Welt der Literatur fernab frömmlerischen Schrifttums, was 1824 letztlich zu Prešerens Entlassung führte. Auersperg gedachte in seinem Nachruf an Preshérn (1849) dieser richtungsweisenden Zeiten:
Er war mein Lehrer einst! Aus dumpfen Hallen
Einst führt er mich zu Tiburs Musenfeste,
Zum Wunderstrand, wo Maros Helden wallen,
Zur Laube, wo der Tejer Trauben preßte,
Zum Kap Sigeums dran die Wogen prallen
Wie Waffentosen, bis zu Priams Veste;
Sein Geisterschiff trug keine Flagg’ am Ständer,
Nicht blau-rot-weiß’, nicht schwarz-rot-goldne Bänder.[6]
Dieses (noch) nicht ethnonational gedachte, patriotische Interesse an der gemeinsamen Krainer Heimat ließ Anastasius Grün ab Mitte der Dreißigerjahre – nicht zuletzt mit Prešerens Unterstützung – slowenische Volkslieder ins Deutsche übertragen und veröffentlichen, um sie schließlich 1850 als Lieder aus Krain in einer Buchausgabe gesammelt vorzulegen. Stand bei diesem (von Erzherzog Johann angeregten) Unternehmen noch das Völkerverbindende im Vordergrund, vertieften Auerspergs politische Ansichten und Aktivitäten in späteren Jahren die Kluft zwischen den beiden Völkern Krains. Es ist dies nur eine der Irritationen, die das Bild des einstmals so verehrten österreichischen Dichters und Politikers trüben. Doch desto interessanter sind die Umstände, wie es zu diesen Veränderungen kam.
Mag der freiheitsliebende Drang zur Systemkritik seiner Jugend später auch einem staatstragenden Konservativismus gewichen sein – bis zu seinem Lebensende, das das Herrenhausmitglied 1876 in seinem Grazer Palais in der Elisabethstraße ereilte, griff Auersperg gerne zu Feder oder Pinsel.
Christian Neuhuber
[1] Offenbar undatierter, nicht im Grazer Teilnachlass erhaltener Brief, zitiert nach Anton Schlossar: Anastasius Grün. Sein Leben und Schaffen. Leipzig: Max Hesse [1907], S. 31f.
[2] [Anton Alexander von Auersperg]: Zur eigenen Lebensgeschichte. In: Anastasius Grüns Werke in sechs Teilen. Sechster Teil: Aufsätze und Reden. Hg. vom Eduard Castle. Berlin [u.a.]: Bong & Co. [1909], S. 9-13, hier 9f.
[3] Brief Friedrich August von Klinkowströms an Cäcilia von Auersperg vom 6. März 1820, f. 1, 3f.
[4] Auersperg, Zur eigenen Lebensgeschichte, S. 12.
[5] Vgl. Anton Janko: Anastasius Grün und die slowenische Literaturgeschichte. In: Anton Janko und Anton Schwob (Hg.): Anastasius Grün. Und die politische Dichtung im Vormärz. München 1995, S. 109-122. Zur Biografie Auerspergs s. auch Dietmar Scharmitzer: Anastasius Grün (1806-1876). Leben und Werk. Wien 2010, S. 109-122.
[6] Anton Alexander von Auersperg: Nachruf an Preshern (geschrieben im Februar 1849). Eigenhändiges Manuskript. FNI-GRÜN, o. Sign.