„Schau deine Hände an. Da werden keine Grabschaufeln mehr draus.“ Barbara Frischmuths Gartenwerkzeuge

in Objekt des Monats

Gartenschere von Barbara Frischmuth; handschriftliche Doppelseite aus einem Schreibbuch von Barbara Frischmuth, Fortsetzung von „Was die Hände brauchen“, eh. paginiert, Bl. 89; Blumenfotografien von Barbara Frischmuth, FNI-Frischmuth-L7-3.6.3.2

„Ich schreibe meine Manuskripte alle mit der Hand in Schreibbücher, das ist ein probates Mittel zur Entschleunigung“, berichtet Barbara Frischmuth in einem der vielen Bücher über berühmte gärtnernde Persönlichkeiten bzw. Schriftstellerinnen, in denen sie in den vergangenen Jahren ihren Garten in Altaussee und ihre Arbeit vorgestellt hat. Sie schreibe oft auf verschiedenen Plätzen im Garten, „mit dem harten Einband der Schreibbücher auf den Knien“, erfahren wir weiter, „das vermittelt mir auch ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit – irgendwie trägt es zur Authentizität bei“.[1] Dass sich Barbara Frischmuth der konkreten, handwerklichen Aspekte ihrer Arbeit, der Wirkungen und Einsichten des Materials nicht nur in ihrer schriftstellerischen Arbeit, sondern auch in ihrer intensiven Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Mensch und Natur bewusst ist, haben ihre letzten Buchveröffentlichungen gezeigt: Auf einen Band mit philosophischen, kulturgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Überlegungen (Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen)[2] folgte jüngst einer über Schaufel, Rechen, Gartenschere[3] und darüber, „was die Hände brauchen“. Überlegungen und Tätigkeiten, Philosophisches und Handfestes gehen so gewissermaßen Hand in Hand, ermöglichen und befruchten einander.

Seit vielen Jahren verfolgt Barbara Frischmuth nicht nur das Projekt ihres eigenen Gartens und seiner Beschreibung, des schriftstellerischen Festhaltens seiner Entwicklungen und durch ihn angeregter Erkenntnisse, sondern auch das einer Neubewertung der Wahrnehmung der Natur und des Verhältnisses von Mensch und Umwelt. Was in mehreren Gartenbüchern zunächst implizit enthalten war, wurde in Der unwiderstehliche Garten (2015) und im Band über die Natur als Erkenntnis von Autor:innen verschiedener Disziplinen erkennbar und führt zur gemeinsamen „Forderung nach einer besseren Wahrnehmung unserer Umwelt sowie nach einer größeren Achtsamkeit“ (N, 59). Dem Verhältnis, das von Raubbau und Missbrauch durch den „Parasiten Mensch“ (N, 35) im Anthropozän geprägt scheint, setzt Frischmuth Forderungen nach Sparsamkeit, Ent­schleunigung und Empathie entgegen (vgl. N, 59), das Bild des die passive Natur kultivierenden, selbst aber unabhängigen Menschen korrigiert sie mit Hinweisen auf die Natur als Akteurin und die zahllosen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten einer gemeinsamen Existenz.

Im Zentrum der Neubewertung stehen dabei die Pflanzen, die lange abseits der Aufmerksamkeit und anthropozentrischer Erzählungen standen und denen Frischmuth nicht nur Kommunikationsfähigkeiten jenseits der Sprache, sondern, gestützt auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse, auch Intelligenz zuschreibt (vgl. N, 69). So fällt es schwer, „in Pflanzen noch immer jene passive, von Reflexen gesteuerte Biomasse zu sehen“,[4] vielmehr erscheinen sie als aktiv Beteiligte und Schnittstellen der Kommunikation. Der Ort dieser Entwicklungen ist der Garten. In ihm – und ihren Gartenbüchern – ergründet Frischmuth die Geheimnisse der Pflanzen, ihn sieht sie als „riesiges Beziehungsgeflecht“ und Kommunikationszentrum,[5] als integrativen Raum und Schule des Lebens im besten Sinne: Gärten, hält sie fest, seien nicht so sehr individuelle Fluchtpunkte als vielmehr „Lehrstätten, in denen wir die Welt, die noch immer den Gesetzen der Natur gehorcht, besser erkennen lernen“.[6]

Auch Frischmuths jüngste Veröffentlichung, das Büchlein über Schaufel, Rechen, Gartenschere, nimmt diese Überlegung auf und verspricht im Garten „die Einsicht in andere Welten“ (S, 16). Zu den schon erwähnten Werkzeugen der schriftstellerischen Auseinandersetzung mit dem Garten – Notiz- und Schreibbüchern, Fotos und ganzen Stößen von Fachbüchern[7] – kommen nun die Gartenwerkzeuge im engeren Sinn hinzu. Frischmuth entfaltet unter dem Motto „Hilfe für die Hände“ das ganze Panorama an Gartengeräten: von der Schaufel, die auch als signalfarbene Handschaufel oft im Gartenabfall verschwindet und als Werkzeug des privaten Gartens, das in der Landwirtschaft kaum mehr gebraucht werde (vgl. S, 12), geradezu zum Symbol für den individuellen Einsatz und Zugriff wird, über Zwiebelpflanzer, Gartenkrallen und Rechen, „Jätfinger, Staudenspaten, Aussaatstempel, Unkrautstecher“ (S, 20) usw. bis hin zu von Mechanik und Elektronik bestimmten Gerätschaften wie Rasenmähern, Häckslern oder Laubsaugern. Zur letzten Gruppe fällt die Einschätzung gemischt aus und spätestens, wenn der Rasenmähroboter unterwegs ist und auch noch „die letzten Blüten, die von Insekten bestäubt werden können, unter die Räder kommen“ (N, 25), sehen wir den großen Kampf um die Natur und gegen unreflektierte menschliche Eingriffe im Kleinen aufkeimen.

Ein besonderes Verhältnis hat Barbara Frischmuth zu einem bestimmten Gartenwerkzeug, nämlich zu ihrer geliebten Gartenschere. Diese besonders funktionelle Schere, seit vielen Jahren in ihrem Besitz, nach jedem Verschwinden wieder aufgetaucht und immer wieder scharfgeschliffen, erscheint Frischmuth als „Glücksgeschenk“ (S, 22). Dem Archiv hat sie ein anderes Exemplar übergeben, stellvertretend nicht nur für das persönlich unverzichtbare Werkzeug, sondern auch für den handgreiflichen Aspekt der Arbeit – im Garten, um die Natur – insgesamt. Die Gartenschere verkörpert damit auch Frischmuths Erkenntnis, dass zum Verstehen „auch eine Realität gehört“ (N, 71). An den französischen Philosophen Michel Serres anknüpfend führt sie den Eindruck aus, dass sich heutzutage „beinahe alles Wesentliche ‚drinnen‘, im Denken“ vollziehe, „und keinesfalls mehr draußen, unter den Dingen, die Natur bedeuten“ (N, 18f.). Die Schere, das Hantieren mit den Dingen draußen, steht also auch programmatisch für „das, was draußen gemacht wird“ (N, 20), und was Frischmuth besonders am Herzen liegt.

Die Gartenschere, die sie dem Franz-Nabl-Institut übergeben hat, ist nicht das erste Gartengerät Barbara Frischmuths in einem Archiv. Nach dem Erscheinen ihres ersten Gartenbuchs Fingerkraut und Feenhandschuh (1999) war man rund um Sitzungen und offizielle Termine in Marbach ins Gespräch gekommen und sie hat dem Deutschen Literaturarchiv eine Gartenschaufel zukommen lassen. Diese – wie die vorliegende Gartenschere mit Gebrauchsspuren versehene – Handschaufel ist nun der bisher einzige Treffer der Kategorie ‚Gartengerät‘ im Online-Katalog des Deutschen Literaturarchivs und als anschauliches und einprägsames Objekt gelegentlich Gesprächsthema in der Auseinandersetzung mit Schriftstellerinnen, Kanon und Archiv.[8]

Die Frage, was die Hände brauchen und was das mit der Schriftstellerei zu tun hat, stand auch am Beginn von Barbara Frischmuths eigenem Garten. Aus dessen Gründerjahren schildert sie mit einer eigenen Mischung aus Bestimmtheit und Lebenserfahrung, wie der schon aus gemeinsamen Schulzeiten bekannte Baumeister gesteht, guten Boden aus der Baustelle ihres zukünftigen Gartens verkauft und gegen Bauschutt ausgetauscht zu haben. Ihre diesbezüglichen Ambitionen habe er nicht ahnen können, schließlich verfüge die Schriftstellerin offensichtlich nicht über das nötige Hand-Werkzeug: „Na du mit deiner Schreiberei. Schau deine Hände an. Da werden keine Grabschaufeln mehr draus.“[9]

Stefan Alker-Windbichler

[1] Garten ist das pure Leben. Im Gespräch mit Barbara Frischmuth. In: Georg Möller: Und immer wieder mein Garten … Schriftstellerinnen über ihre besondere Beziehung zum Garten. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2018, S. 98–103, hier S. 103.
[2] Barbara Frischmuth: Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen. Wien, Salzburg: Residenz 2021. (= Unruhe bewahren.). Im Text mit Seitenzahl zitiert als N.
[3] Barbara Frischmuth: Schaufel, Rechen, Gartenschere. Was die Hände brauchen. Salzburg, Wien: Residenz 2023. (= Dinge des Lebens.). Im Text mit Seitenzahl zitiert als S.
[4] Barbara Frischmuth: Der unwiderstehliche Garten. Eine Beziehungsgeschichte. Berlin: Aufbau 2015, S. 14.
[5] Vgl. Löwenmaul und Irisschwert: Barbara Frischmuth. In: Eva Kohlrusch: Besondere Frauen & ihre Gärten. München: Bassermann 2017, S. 22–27, hier S. 25.
[6] Frischmuth: Der unwiderstehliche Garten, S. 217.
[7] Vgl. Barbara Frischmuth: Fingerkraut und Feenhandschuh. Ein literarisches Gartentagebuch. Berlin: Aufbau 1999, S. 12f.; vgl. auch Frischmuth: Der unwiderstehliche Garten, S. 11.
[8] Vgl. https://www.dla-marbach.de/find/opac/id/BI00001835/ (Stand: 25.05.2023). Herzlichen Dank an Heike Gfrereis und Michael Davidis für Informationen und Unterstützung!
[9] Frischmuth: Der unwiderstehliche Garten, S. 52.