#WasKannLiteratur – Josef Winkler

#WasKannLiteratur – Josef Winkler

in Dossier: #WasKannLiteratur

WORTGRENZEN, SPRACHGRENZEN

Bereits als Jugendlicher, als ich noch in die Handelsschule ging, las ich Weltliteratur, die Unterhaltungsliteratur, in der ich auch dann und wann geschmöckert hatte, interessierte mich nicht. Später las ich in den Tagebüchern des berühmten französischen Dichters Julien Green, der übrigens in Klagenfurt in der Stadtpfarrkirche begraben liegt: „Die Unterhaltungsliteratur wird vom Teufel geschrieben. Und wir werden wohl nie erfahren, was diese Art von Literaturgattung in der Menschheitsgeschichte angerichtet hat.“ Von den Büchern, die ich mit mir in eine Ledertasche – Leder ist Haut – herumtrage, lese ich am liebsten die, die ich mühsam entziffern, Satz für Satz erobern muß, denn sobald mich die Sätze in einem Buch beim Lesen mitzutragen beginnen, ich ihre Leichtigkeit, Lockerheit und Selbstzufriedenheit zu spüren, ja auch zu genießen beginne, lege ich das Buch weg und höre zu lesen auf. Wenn sich mir ein Satz nicht wie ein Mühlstein um den Hals hängt, wozu soll ich ihn dann loswerden? „Nichts, was das Leben staut wie das Lesen; Lies! Staukraftwerk Lesen“ heißt es im Notizbuch „Gestern unterwegs“ bei Peter Handke, dem wohl größten europäischen Schriftsteller, der übrigens in Kärnten, in Griffen, aufgewachsen ist. „Der Schriftsteller ist derjenige, dem das Schreiben schwer fällt!“ heißt es bei Thomas Mann. Wir kämpfen mit der Sprache, wir stehen im Kampf mit der Sprache. Manchmal schreibe ich einen Satz zwanzig, dreißigmal um, bis er es wert ist umformuliert oder zerstört, um dann noch einmal als Satzkonstrukt neu auf die Beine gestellt  zu werden, denn Schreiben ist im Sinne von Karl Marx auch Arbeit, deshalb auch haben Alois Brandstetter und ich, als wir beide, er als Germanstikprofessor, ich als Schreibkraft in den Achtzigerjahren an der Hochschule für Bildungswissenschaften, eine Literaturzeitschrift mit dem Namen „Schreibarbeiten“ herausgegeben. Die literarischen Texte für diese Zeitschrift habe ich auf einem sogenannten „Composer“ abgetippt, im Keller der Hochschule für Bildungswissenschaften in der Keltengasse vervielfältigt und die Hefte in die Buchhandlungen getragen. Außerdem haben Alois Brandstetter und ich von meinem Büro der Hochschule für Bildungswissenschaften aus, Autorenlesungen organisiert, weit über hundert Autorinnen hatten wir aus dem In- und Ausland über Jahre nach Klagenfurt eingeladen.

Ein anderes zwölfjähriges Kind aus meinem Heimatdorf sagte einmal zu mir: „Ich habe schon alles hinter mir! Ich bin schon mit dem Auto auf dem Feld gefahren, ich bin Traktor gefahren…“ Geworden ist aus diesem Kind ein Lastwagenfahrer, was wir natürlich auch brauchen. Den jungen Menschen, besonders an der Universität, erlaube ich mir zu sagen, daß sie sich nichts eintrichtern lassen sollen. Sie sollen, möchte ich damit sagen, das Gelernte, das auch gelernt werden muß, als kreatives Sprungbrett benutzen, soviel wie möglich Eigenes dazudenken und dazusagen und wenn es sein muß und erlaubt ist, besonders in den Geisteswissenschaften, auch dazufantasieren, denn sonst verwandelt sich das Wort mit dem „Eintrichtern“ in ein bedrohliches Bild: Im Kopf des jungen Menschen stelle ich mir ein Loch vor. In dieses Loch wird ein Trichter hineingeschoben und von jemanden, der sich für einen Lehrer hält, der Kopf des jungen Menschen aufgefüllt mit Dingen und Wissen, das sie dann ebenfalls eines Tages ausspucken und vielleicht später genauso weiter geben können, nämlich wiederum in einen Trichter, der im Kopf eines jungen Menschen steckt und ihn in diesem Sinne volladet mit Brauchbarem und Unbrauchbarem.

Wenn ich einmal in einem Gymnasium zu einem Vortrag unterwegs bin, sage ich meistens zu den Schülern bei der Diskussion, daß nämlich diejenigen, die in einem Monat tausende SMS verschicken, die Sprache verlieren werden, daß sie sich eines Tages nicht mehr in ganzen Sätzen werden ausdrücken können, weil die meisten SMS nur eine verkrüppelte Sprache sprechen, daß man also durch Lesen und durch Schreiben die Sprache nicht nur lernen, sondern daß man über diese Art von Verknappung und Verkürzung durch SMS die Sprache auch verlernen, auch verlieren kann. Ich weiß nicht einmal, wie man ins sogenannte „Instagram“ hineinkommt, ich habe so etwas nicht auf meinem einfachen Handy. Ich nenne es „Finstergram“ und „Instagrimm“ und frage manchmal die jungen Leuten, wie lange sie noch in diese, wie ich sie manchmal nenne, „Jauchegrube“ hineinschauen wollen. Der Narziß im Spiegelbild der Jauchegrube! Hoffentlich beugt er sich nicht zu weit vor!

Schreiben lernt man, und man kann es bis zu einem gewissen Grad auch tatsächlich lernen, durch das Lesen guter Bücher und durch das konsequente, disziplinierte Schreiben, durch wiederholte Schreibversuche, wenn man bereit ist, den Kampf mit der Sprache, die wir doch so oder so täglich benutzen, aufzunehmen und auch eine risikovolle und risikoreiche Sprache zu verwenden. „Schreiben drängt zum Gefährlich sein. Es muß gefährlich sein.“ Heißt es bei Peter Handke. Und Franz Kafka schreibt: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen.

Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ So Franz Kafka.

Und wer durch das Lesen guter Bücher und auch durch das eigene Schreiben, seine Sprache sensibilisieren kann, dem wird dieser Satz von Oscar Wilde zur Möglichkeit, wenn er mit jemanden spricht und etwas Besonderes erfahren will: „Schon am Klang deiner Worte werde ich erfahren, ob du die Wahrheit sagst!“ Sagt also Oscar Wilde in einem der berühmtesten Briefe der Weltliteratur, den er aus dem Gefängnis an seinen jungen Freund richtet und der unter dem Buchtitel „De Profundis“ nachzulesen ist. Und mit einem Satz des großen ungarischen Dichters Peter Esterházy, der leider vor kurzem viel zu früh verstorben ist, lasse ich Sie jetzt alleine: „Weißt du, mein lieber Freund, Sätze sagen, das kann ich auch!“