Altziebler © Elisabeth Loibner
Altziebler © Elisabeth Loibner

Slobodan Šnajder: Die Reparatur der Welt

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Lesetipp für den Sommer von Agnes Altziebler:

In seinem jüngsten Roman, der im Frühjahr erschienen ist, mit der „Reparatur der Welt“, widmet sich Slobodan Šnajder einem Thema, das bis jetzt wenig Platz fand in der Literatur des ehemaligen Jugoslawien und von einem langen Schweigen begleitet war: die Geschichte der Volksdeutschen. Unter Maria Theresia aus dem Schwabenland nach „Transsilvanien“ gelockt, holen etwa 160 Jahre später andere Gesandte die Volksdeutschen heim ins Reich. Was folgt, ist bekannt; im Jugoslawien nach dem Krieg bekam ihre Position einer Minderheit eine neue Dimension.
Slobodan Šnajder nähert sich der Geschichte seiner Familie über die Zerrüttungen des 20. Jahrhunderts. Am Beispiel seiner Eltern widmet er sich der europäischen Geschichte, die von Aufbruch und Hoffnung wie von Entbehrung und Leid, von einem Leben in Zeiten der Extreme und der Fremdbestimmung durch wechselnde Ideologien und Herrschaftssysteme erzählt. Großen Raum findet in dem Buch am Beispiel seines Vaters Kempf der Wahnsinn des 2. Weltkriegs und die Zeit nach 1945 in Jugoslawien. „Kempf“ will und kann nicht mehr „kämpfen“; als Angehöriger einer feindlichen Minderheit entfremdet und entzieht er sich, im Privaten wie in der Politik, den Enthusiasmus des sozialistischen Aufbruchs kann er nicht teilen, er will Dichter werden – seine Begleiter sind immer mehr Poesie, Alkohol und Einsamkeit. Kempfs Lebenslauf ist ein Flickenteppich und er einer, der aus der Geschichte herausgefallen ist. „Kempf hatte im Leben nichts erreicht, außer ein Fremder zu bleiben. Und nirgendwo kann man ein so absoluter Fremder sein wie in seiner Heimat.“
Und irgendwann schließlich bringt eine neue Zeit neue Rattenfänger, die mit Versprechen für eine bessere Zukunft ködern. Was daraus geworden ist, weiß man.
„Die Reparatur der Welt“ ist ein Roman, der durch seine Vielschichtigkeit beeindruckt, durch seine Fülle an Geschichten und Schauplätzen, der durch seine besondere Erzähltechnik fasziniert: das gekonnte Spiel mit Erzählhaltung, -perspektive, -figuren, die Vermischung der zeitlichen Ebenen sowie die Verzweigungen der Erzählstränge. Slobodan Šnajder schöpft dabei aus einer Fülle an Material und Wissen – politische und ideologische, historische, gesellschaftskritische, psychologische, kulturelle Zusammenhänge, Fakten, Anspielungen, Zitate zieht er wie Karten aus dem Ärmel.
Die toten Eltern geben dem Sohn einiges an Rätseln auf und deren Biographie muss aus Versatzstücken zusammengeflickt, vermutet, gedeutet und ja, natürlich auch erfunden werden. Gleichzeitig geben diese Eltern mit ihrem von der Ironie der Geschichte gebeutelten Leben auch die Geschichte eines Jahrhunderts wieder.
An ihrem Schicksal beschreibt er das Panoptikum eines Jahrhunderts, in Europa, Jugoslawien, Slawonien. Denn vor allem dem ehemaligen Jugoslawien hat dieses Jahrhundert Einiges zum Reparieren aufgegeben. Der jüdische Mystiker Leon Mordechai, dem Kempf in Polen begegnet, der die Welt als eine „Arena der Erlösung“ betrachtet, glaubt noch immer an die „Reparatur der Welt“. Er wird kurz danach ermordet. Djuka Kempf, der spätestens im Krieg zum Agnostiker und Zyniker geworden ist, meint: „Ich wünsche mir eine Welt, in der niemand gerettet werden muss.“

Slobodan Šnajder: Die Reparatur der Welt (Aus dem Kroatischen von Mirjana und Klaus Wittmann, Zsolnay Verlag 2019), 544 Seiten, Euro 26,00