Buchtipp für den Sommer von Klaus Kastberger.
Clemens Setz sagt: Das Ganze hätte eigentlich ein klassischer Interviewband werden sollen. Aber es kamen ihm rasch Zweifel, ob er für so etwas schon alt und würdig genug sei. Auch auf die Fragen fiel ihm zusehends weniger ein. Deshalb die Idee, alle verfügbaren Aufzeichnungen und Notizen, die er auf seiner Festplatte fand, von einem Computerprogramm, einem sogenannten Bot, thematisch durchsuchen und mit entsprechenden Textbausteinen auf fiktionale Fragen antworten zu lassen. Herausgekommen ist „Nonseq“, eine Art der Kommunikation, die nicht unbedingt nach logischen Anschlüssen sucht und sich gegen den realistischen Dialog richtet.
Das Buch vermittelt einen unmittelbaren Einblick in die Welt des Clemens Setz. Schräg, immer etwas neben der Spur, viele Themen angesiedelt in einer Art Science Fiction der Gegenwart. Setz ist, weil er Konventionen flieht, immer ganz nahe an heutigen Aktualitäten dran. Ein Nerd eben, aber ein Nerd der Literatur, denn vielfach bleibt, worüber der Autor nachdenkt, was im auffällt oder womit er sich beschäftigt mit klassischen Vorstellungen des Schreibens verbunden. An einer Stelle des Textes bemerkt der Autor, dass Stiefmütterchen Gesichter wie Günter Grass haben. Ab dem Zeitpunkt gibt es auf der ganzen Welt kein Stiefmütterchen mehr, das nicht so aussieht wie der deutsche Nobelpreisträger. Ganz so, als legte sich Literatur im Nachhinein über die Wirklichkeit.
Genau das kann man von diesem Buch lernen: Dass die Vorstellungs- und Einbildungskraft über den Dingen steht. Und erst der literarische Blick Wirklichkeit erzeugt. „Bot. Gespräch ohne Autor“ ist ein Plädoyer für die Freiheit der Anschauung und die Möglichkeiten von Literatur. Ein ganz starker Autor ist hier am Werk, gerade weil Setz die üblichen Rede- und Inszenierungsformen heutiger Autorschaft meidet. Neues zieht am Horizont dieses Buches auf: Etwas ungeordnet und unsicher, aber als schwere Empfehlung für alle Abenteurer des Denkens.
Clemens Setz: Bot. Gespräch ohne Autor. Suhrkamp 2018, 166 Seiten